Die Funktionen. $ 175. 147
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1. Eine materielle Einwirkung auf die Ergebnisse der
Strafrechtspflege besitzt das Staatsoberhaupt durch das Recht
der Begnadigung!.
Begnadigung ist die Aufhebung oder Milderung der straf-
rechtlichen Folgen einer strafbaren Handlung. Die Begnadigung
eines einzelnen, bereits verurteilten Verbrechers, oder Nieder-
schlagung (Abolition), d. h. Begnadigung eines einzelnen Ver-
brechers vor erfolgter Verurteilung (Aufhebung des Strafver-
fahrens), oder Amnestie, d, h. gleichzeitige Begnadigung einer
ganzen Kategorie von Verbrechern.
Das Begnadigungsrecht hat sich in Deutschland aus dem Recht
der Ablösung oder Ledigung entwickelt, d. h. der Befugnis
des Verbrechers, sich von der Strafe durch Zahlung einer Geldbuße
zu befreien. Diese Ledigung war bei „Ungerichten* (schwereren
Delikten) nur mit Einwilligung des Klägers und Richters gestattet.
Indem Einwilligung des Klägers und Zahlung der Buße mehr
und mehr zurücktraten und sich schließlich ganz verloren, wurde
daraus ein richterliches Begnadigungsrecht. Seit dem sechzehnten
Jahrhundert nahmen aber die Landesherren das Recht der Be-
gnadigung ausschließlich für sich in Anspruch?. Unterstützt
wurde diese Entwicklung durch die Rezeption des römischen
techtes,
Inhaber des Begnadigungsrechtes ist der Monarch®, in den
Freien Städten der Senat*. Jedem Monarchen oder Senate steht
das Recht der Begnadigung hinsichtlich der von den Gerichten
seines Landes in erster Instanz erkannten Strafen zu®. Der Kaiser
1 — | | en
ı Laband, StR 8 512 ff.;, Lüder, Das Souveränitätsrecht der Be-
gnadigung (1860); v. Arnold, ÜberUmfang und Anwendung des Begnadigungs-
rechtes (1860); R v. Mohl, Begnadigung, Abolition, Amnestie, Moratorien,
in Staatsrecht, Völkerrecht, Politik % 634 fi.; D. Loeb, Das Begnadizungs-
recht (1881); H. Elsaß, Über das Begnadigungsrecht (1888); H. Seuffert, Art.
‚Begnadigung* in v. Stengels Wörterbuch des deutschen Verwaltungsrechtes
(1. Aufl.) 1147 ff.; Delaquis, Art. Begnadigung im WStVR 1374 ff.; Derselbe,
Die Rehabilitation im Strafrecht (1907); Binding, Gruıdriß des deutschen
Strafrechts, Allgemeiner Teil (7. Aufl., 1907) 310 ff. (mit reichhaltigem Lite-
raturverzeichnis); H. Ortloff, Das Begnadigungsrecht im konstitutionellen
Rechtsstaat, im Archiv für Stratrecht 25 92 ff.. 213 ff.; Davidsohn, Das Be-
gnadigungsrecht (1903).
Hälschner, Das preuß. Strafrecht 1 44 ff,, 51 ff.; R. Locning in der
Zeitschrift" für die gesamte Strafrechtswissenschaft 5 228 ff.; Frauenstädt,
Das Begnadigungsrecht im Mittelalter, ebenda 17 885ff.; E. Roscnthal,
Geschichte des Gerichtswesens und der Verwaltungsorganisation Bayerns
08 ff.
8 Preuß. Verf. Art. 49, Bayr. Verf. Tit. VIIL $ 4, G., die Aufhebung
der Straffolgen betr.. vom 10. Juli 1861, Sächs. Verf. $ 52. Württ. Verf. $ 97,
S.-Mein. G 106, Braunschw. NLO 8 208, Old. StGG Art. 10, Reuß ä. L.
Verf. $ 45, Schaumb.-Lipp. Verf. Art. 10, Wald. Verf. $ 12.
* Lüb. Verf. Art. 1X, Brem. Verf. $ 57, Hamb. Verf. Art. 24.
< ggdber die in dieser Hinsicht bestehenden Streitfragen vgl. Elsaß a. a. O.
Ss, 109 ff.