Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

760 Zweiter Teil. Drittes Buch. $ 178, 
durch den Willen des Gesetzes beschränkt ist. Das Gesetz 
ist — regelmäßig — nicht Grund (veranlassende Ursache), noch 
Zweck, sondern Schranke der Verwaltung. Hierin liegt ein 
Zweifaches: 1. Das Gesetz ist der Verwaltung gegenüber immer 
der rechtlich höhere Wille; die Verwaltung darf also niemals 
etwas tun, was das Gesetz verbietet, niemals contra legem handeln. 
2. Die Verwaltung hat den Untertanen gegenüber nur diejenigen 
Machtbefugnisse, welche das Gesetz ihr verleiht. Nur innerhalb 
der Schranken des Gesetzes, d. h. nur auf Grund gesetzlicher 
Ermächtigung kann die Verwaltung das Vermögen oder die Anteils- 
kraft der Individuen in Anspruch nehmen oder eine Duldung oder 
Unterlassung von ihnen fordern. Versteht man unter dem „Dürfen“ 
der Verwaltung die rechtliche Fähigkeit zu Befehl und Zwang, 
zum Eingreifen in Freiheit und Eigentum der Untertanen, so gilt 
der Satz: Die Verwaltung darf nicht alles, was kein Gesetz ihr 
verbietet, sondern sie darf nur, was das Gesetz ihr er- 
laubtb. Dieser Satz, „das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der 
richtig, je nachdem wie man sie versteht. Sie ist unrichtig, wenn sie aus- 
drücken soll, das Wesen der Verwaltung bestehe lediglich im Vollziehen 
der Befehle des Gesetzgebers. Die Verwaltung ist in der Regel nicht bloßer 
Gesetzesvollzug. Wenn der Staat zum Beispiel Verträge schließt (mit Privat- 
personen der anderen Staaten), wenn er gewerbliche Konzessionen erteilt 
oder Pateute verleiht, wenn er Behörden organisiert, Beamte ein- und ab- 
setzt, Festungen und Kriegsschiffe baut, Gemeinden mit«inander vereinigt, 
Kolonien erwirbt, Teile seines Gebietes abtritt, so sind das alles Vcrwal- 
tungshandlungen, aber solche, vermöge deren die Verwaltung nicht den 
Willen der Legislative, sondern ihren eigenen Willen vollzieht. Richtig ist 
die Bezeichnung „vollziehende Gewalt“ nur dann, wenn man die Vorstellung 
fernbält, als müsse der Gegenstand des Vollziehens stets in einem in Gesetzes- 
form ergehenden Befehl, die veranlassende Ursache des Vollziehens in einem 
vom Gesetzgeber ausgehenden Willensimpuls liegen; sie ist richtig, wenn 
man dem Zeitwort „vollziehen“ hier den einfachen Sinn gibt: handeln. 
vgl. Anschütz in der „Kultur der Gegenwart“, Systematische Rechtswissen- 
schaft 381. 
b Diese Grundauffassung über das Verhältnis der Verwaltung einer- 
seite zum Gesctz, anderseits zu der Freiheit der Untertanen steht ‘in der 
Wissenschaft gegenwärtig nahezu unbestritten da. Vgl. Laband 2 193; 
Loening, VR 241; Leuthold, AnnDR 1884 388 ff.; Rosin, PoIVR 11 ff., Verw- 
Arch. 8 255, Schmollers J. 9 1008; Zorn, StR 1 276; v. Seydel-Piloty, Bayer. 
StR 1 168, 846, 869; Jellinek, System 102 ff.; Arndt, VerordnR 225; OÖ. Mayer, 
VR1 (2. Aufl.) 56 f., 65 ff., 237; derselbe im ArchÖFR 17 464 ff., 18 96 ER; 
Kahl im WStVR 8198; Anschütz, VArch 5 23, 406, 14 324, PrVB1 22 84 ff, 
Enzykl. 29, 170. Komm. z. preuß, Verf. 1 97 ff., 134, 141, 157, 162, Kultur 
der Gegenwart a. a. O. 381, 382, die Polizei (Vorträge der Gehe-Stiftung zu 
Dresden, 2) 10, 25; Fleiner, Instit. 121 ff.; Thoma, Polizeibefehl 98 ff ; Freuden- 
tal, Die staatsrechtl. Stellung der Gefangenen (Akademische Rede, Frank- 
furt a. M. 1909) 8fl.; Wolzendorff, VArch 20 280, PrVBl 82 371; Schade 
im ArchÖffR 25 296 ff.; W. Jellinek, ArchÖffR 92 585 ff. Sie hat auch die 
Rechtsprechung der meisten deutschen Verwaltungsgerichtshöfe hinter sich, 
vor allem die des preußischen und des sächsischen OVG (über die ein- 
schlägigen Urteile des preuß. OVG vgl. Anschütz, PrVBl. 22 84, 85 und 
Bühler, Die subj. öff. Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungs- 
rechtsprechung [1914] 81 ff., — über das sächs. OVG Bühler a a. O. 99 ff.
	        
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