Die Funktionen, $ 179. 765
dargestellten Grundsätze über das Recht der Gerichte zur Prüfung
der Gültigkeit von Gesetzen und Verordnungen nicht ohne weiteres
auf die Verwaltungsorgane übertragen werden können. .
1. Gleichgestellt sind die Verwaltungsorgane den Gerichten
in bezug auf das Prüfungsrecht gegenüber Gesetzen, indem
dieses Recht, sofern man darunter (im Sinne der früher vor-
herrschenden Lehre) die Befugnis versteht, vorschriftsmäßig ver-
kündigte formelle Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen,
den Verwaltungsorganen ebenso wenig zusteht wie den Gerichten.
Es gelten in dieser Hinsicht durchweg die oben 739 ff. ent-
wickelten Sätze.
2. Das Recht, Verordnungen auf ihre Gültigkeit zu prüfen,
steht den Verwaltungsorganen nicht in demselben Umfange zu,
wie den Gerichten. Wenn nämlich die Verordnung von einer
dem betreffenden Verwaltungsorgan vorgesetzten Behörde erlassen
ist, hat sie jenem gegenüber die Eigenschaft eines Dienstbefehls,
dem die nachgeordnete Stelle ebenso zum Gehorsam verpflichtet
ist, wie anderen Dienstbefehlen. Wie sonst, so gilt auch hier für
das Verhältnis des Untergebenen zum Vorgesetzten als Regel
nicht das Recht der Kritik, sondern die Pflicht des Gehorsams.
Die Grenzen der Gehorsamspflicht sind die allgemeingültigen, wie
sie oben $ 146 S. 593—597 dargelegt worden sind].
3. Auch hinsichtlich des Verhältnisses von Reichs-
und Landesrecht bestehen für die Verwaltungsbehörden andere
Grundsätze als für die Gerichte. In dieser Beziehung ist aber
zwischen Reichs- und Landesbeamten zu unterscheiden.
Die Landesbeamten haben zwar düs Recht, im einzelnen
Falle zu prüfen, ob eine reichs- oder landesrechtliche Norm An-
wendung findet. Sie sind also namentlich in der Lage, darüber
zu entscheiden, ob die Vorschrift eines älteren Landesgesetzes
durch ein späteres Reichsgesetz aufgehoben ist. Aber sie müssen
wegen ihrer Unterordnung unter die Landesgesetzgebung und die
höheren Verwaltungsorgane des Landes deren Entscheidungen als
für sich bindend anerkennen!. Eine solche Entscheidung liegt
zum Beispiel dann vor, wenn Landesgesetze und Landesverordnungen
ältere Vorschriften des Landesrechtes gegenüber später erschienenen
Reichsgesetzen aufrechterhalten. Ebenso ergibt sich aus dem Um-
stande, daß ein Landesgesetz oder eine Landesverordnung später
als ein denselben Gegenstand behandelndes Reichsgesetz erlassen
ist, die Absicht der Landesgesetzgebung bzw. Regierung, die Vor-
schriften desselben auch gegenüber dem früheren Reichsgesetz als
maßgebend erscheinen zu lassen. Für die Überschreitung der Be-
fugnisse der Landesgesetzgebung oder Landesverordnungsgewalt
trägt die Regierung gegenüber dem Reiche die Verantwortung.
Reichsbeamte dagegen stehen weder zur Landesgesetz-
1 Vgl. Laband, StR 2 8 59 S. 123, 124; v. Seydel, Komm. z. RV,
Art. 2 zu III.