Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Die Funktionen. $ 188. 193 
Sache des Dienstes ist und das Verhältnis des Beamten zum 
Publikum nicht berührt (oben $ 148). Die Verfolgung der Be- 
amten, namentlich der Verwaltungsbeamten, ist jedoch vielfach be- 
sonderen Beschränkungen unterworfen, welche teils materieller, 
teils formeller (prozessualer) Natur sind, 
1. In England? sind Verfolguugen der Beamten durch 
Private nur in sehr begrenztem Umfange zugelassen. Eine straf- 
rechtliche Verfolgung ist gegenüber dem bona fide handelnden 
Beamten überhaupt ausgeschlossen und nur wegen vorsätzlicher 
Verletzung der Amtspflicht gestattet. Zur Erhebung der Anklage 
erscheint nach dem in England herrschenden System der Privat- 
anklage jeder Privatmann befugt. Der Kronanwalt besitzt aber 
das Recht, durch „nolle „prosequi“ die Anklage niederzuschlagen. 
Eine Zivilklage wird nur bei Kompetenzüberschreitungen und Ver- 
letzung wesentlicher Formen gestattet, in welchem Falle der Be- 
amte als außerhalb des Amtes handelnd angesehen und demgemäß 
einem Privatmann gleich behandelt wird. 
2. Im Gegensatz zu den wesentlich materiellen Begrenzungen 
des englischen Rechtes hat man auf dem Kontinent die Verfolgun 
der Beamten durch formelle Erfordernisse, namentlich dadurch 
beschränkt, daß man sie von der Vorentscheidung einer besonderen 
Behörde abhängig gemacht hat. Dies ist zuerst in Frankreich 
geschehen. Hier war schon unter dem ancien regime der Grund- 
satz zur Geltung gelangt, daß die gerichtliche Verfolgung eines 
Verwaltungsbeamten nur mit Genehmigung der höchsten Ver- 
waltungsbehörde, also des Staatsrates, stattfinden könne. Auch 
nachdem infolge der Einführung des modernen Anklageprozesses 
durch das Institut der Staatsanwaltschaft die Verfolgung zur Dis- 
position des jeweiligen Ministeriums gestellt war, behielt man die 
Genehmigung der Strafverfolgung durch den Staatsrat bei, um 
eine gleichförmigere Behandlung der einzelnen Fälle zu erzielen. 
‚Namentlich wurde durch Art. 75 der Verfassung vom 22, frimaire 
des Jahres VIII festgesetzt, daß die Verfolgung der Verwaltungs- 
beamten („agents du gouvernement“) wegen ihrer Amtshandlungen 
nur auf Grund einer Entscheidung („autorisation prealable“) des 
Staatsrates erfolgen könne, ein Grundsatz („garantie constitutionelle“), 
der durch verschisdene spätere Gesetze® ausdrücklich aufrecht er- 
halten und erst durch Dekret vom 19. September 1870 beseitigt ist. 
3. In Deutschland war die Verfolgung von Beamten nach 
gemeinem Recht an besondere Voraussetzungen nicht gebunden 
Gerichte und Verwaltungsbehörden 233 ff, 307ff.; v. Seydel-Piloty, Bayer. 
StR 1 426ff.; O. Bühler, Die Zuständigkeit der Zivilgerichte gegenüber der 
Verwaltung im württemb. Recht (1911) 167. Vgl. auch oben SS 148, 149. 
2 Gneist, Englisches Verwaltungsrecht 1 839Ff., S76F., 3Slff., Ver- 
waltung, Justiz, Rechtsweg 154ff., Selfgovernment, Kommunalverfassung 
und Verwaltungsgerichte 497 ff., Gesetz und Budget 98. 
3 Regl. vom 11. Juni 1806, Dekret vom 25. Jan. 1852 $ 16. Über den 
Begriff des „agent du gouvernement“ vgl. Freund a. a. O.400ff,; O. Mayer, 
Theorie des französischen Verwaltungsrechtes 99.
	        
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