Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Die Funktionen. 8 134. 803 
aber sie eignen sich nicht dazu, zum Gegenstande eines gericht- 
lichen Verfahrens und einer Aburteilung durch einen Staatsgerichts- 
hof gemacht zu werden. Es kann auch das amerikanische Bei- 
spiel in dieser Beziehung nichts entscheiden, da die staatsrecht- 
liche Stellung des Kongresses zum Präsidenten und den ihm unter- 
rdneten Beamten eine ganz andere ist als die der deutschen 
dtage und Staatsgerichtshöfe zu den Ministern. 
Die Ministeranklage ist endlich auch nicht als ein Disziplinar- 
verfahren gegen den Minister aufzufassen2°. Das Disziplinar- 
verfahren gegen Staatsdiener wird von der vorgesetzten Behörde 
eingeleitet,- während die Volksvertretung im Verhältnis zum Mi- 
nister nicht als vorgesetzte Behörde erscheint. Der Kreis von 
Handlungen, welche zur Erhebung einer Ministeranklage Ver- 
anlassung geben können, ist ein viel engerer als derjenige, welcher 
der disziplinären Aburteilung unterliegt; gerade die praktisch 
wichtigsten Anwendungsfälle der Disziplinargerichtsbarkeit (un- 
ordentliche Geschäftsführung, unwürdiges Verhalten im Amt) fallen 
nicht in den Bereich der Ministeranklage. Für diejenigen Zwecke, 
welchen die Beamtendisziplin dient, wird bei den Ministern in der 
Regel schon die freie Entlassungsbefugnis des Monarchen aus- 
reichen. 
Die Ministerank ist eine außerordentliche Maßregel, welche 
die Aufgabe hat, die Minister wegen vorsätzlicher widerrechtlicher 
Eingriffe in den objektiven Rechtszustand?®! zur Ver- 
antwortung zu ziehen. Sie tritt ein bei Verfassungsverletzungen 
und Gesetzesverletzungen, welche die Minister in Ausübung von 
Verwaltungsbefugnissen oder der Verordnungsgewalt begehen. Sie 
hat den Charakter eines Strafverfahrens, aber nicht den eines 
ordentlichen Strafverfahrens zur Verfolgun emeiner Verbrechen, 
sondern den eines besonderen, außerordent ichen, staatsrechtlichen 
Strafverfahrens, das der Aufrechterhaltung des bestehenden Rechts- 
zustandes zu dienen bestimmt ist, Demgemäß lautet auch das 
Urteil auf Strafe, aber nicht auf eine Strafe, welche dem ge- 
wöhnlichen Strafensystem angehört, sondern auf eine, welche in 
der besonderen staatsrechtlichen Stellung des Ministers ihre Be- 
gründung findet??®, Diese staatsrechtliche Seite der Minister- 
anklage ist durch die Reichsjustizgesetze nicht berührt 
:0 Samuely a. a. O. S. 40 ff, 87 f.; H. Schulze, Preußisches Staatsrecht 
3; 280, Lehrbuch des deutschen Staatsrechtes 1 301; v. Sarwey, Württem- 
ergisches Staatsrecht 2 248; Seydel, Bayerisches Staatsrecht (2. Aufl.) 1 
5208; v. Seydel-Piloty a. a. O.1 2 ff.; Hübler, Organisation der Ver- 
waltung S. 13. ; Otto Mayer im ArchÜffR 19 424; Derselbe, Sächs, StR 220; 
Anschütz, Enzykl. 127, 128. — Vgl. dagegen auch Hauke a. a. O. 21ff.; 
Ulbrich a. a. O.; Pistorius a. a. O. 52 ff., 94 ff.; Rehm a. a. 0. 328 ff.; Passow, 
Das Wesen der Ministerverantwortlichkeit in Deutschland 17 ff.; v. Fritsch 
2.2.0.. . 
2! Übereinstimmend: Pistorius a. a. O. 173; Lucz a. a. O 38, 39 . 
s3 Vgl. auch Pistorius a. a. O. 179; v. Frisch a. a. O0, 178. Überein- 
stimmend mit dem Text auch van Calker, Hess. StR 69, 76 und Anm. 5. 
G. Meyer-Anschütz, Deutsches Staatsrecht. III. 7. Aufl. 52
	        
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