Die Funktionen. $ 189. 8ll
Die völkerrechtliche Seite der Staatsverträge betrifft das
Verhältnis der kontrahierenden Staaten zueinander. Die völker-
rechtliche Verpflichtung, einen Vertrag zu erfüllen, entsteht durch
den Abschluß desselben. Bei diesem Abschluß sind zwei Stadien
zu unterscheiden: die Vereinbarung tiber den Inhalt des Vertrages
unter den Bevollmächtigten der betreffenden Staaten und der
eigentliche Abschluß des Vertrages, die Ratifikation durch die
zur völkerrechtlichen Vertretung derselben berufenen Organe.
Letztere ist der rechtlich entscheidende Akt. Bis zur Ratifikation
liegen nur Vorverhandlungen (Punktationen) vor; erst mit dieser
entsteht der Vertrag. Die Frage, welches Organ die Befugnis
besitzt, einen Staat völkerrechtlich zu verpflichten, also Verträge
für denselben abzuschließen, ist keine völkerrechtliche, sondern
eine staatsrechtliche Frage; sie kann nicht nach allgemeinen völker-
rechtlichen Grundsätzen, sondern nur nach dem positiven Staats-
recht des fraglichen Staates entschieden werden!. Im absoluten
Staate steht die Befugnis selbstverständlich dem Monarchen zu;
im konstitutionellen Staate ist dabei eine Mitwirkung der Volks-
vertretung denkbar. Die Ratifikation kann im Einzelfalle von dem
Staatsoberhaupt andern Staatsorganen — Ministern, Militärbefehls-
habern, auch den Unterhändlern — übertragen werden.
Der völkerrechtlichen steht die staatsrechtliche Seite der
Staatsverträge gegenüber. Bei dieser handelt es sich um die Gel-
tung, welche der Staatsvertrag im Innern des Staates, also für
die Behörden und Untertanen desselben besitzt. Die staatsrecht-
liche Verbindlichkeit des Vertrages wird durch den Abschluß des-
1 In diesem Punkte stimmen alle völkerrechtlichen Schriftsteller überein.
Vgl. die ausführlichen Nachweisungen bei E. Meier a. a. O. 91ff. Über-
einstimmend auch: Laband 2 133 ff, K1.A. 172; v. Liszt, Völkerrecht (11. Aufl.,
1918) 110, 111, 118, 162; Schoen in der Ztschr. f. Völkerrecht und Bundes-
staatsrecht 5 410; Proebst a. a. O. 265 fl.; Jellinek, Gesetz u. Verordnung
342; W. Kaufmann, Die Rechtskraft des internationalen Rechtes, Stuttgart
1899, S. 31ff.; Triepel, Völkerrecht und Landesrecht 236 ff. Dagegen hat
Tezner a. a. O. 123. die Ansicht aufgestellt, daß nach völkerrechtlichen
Grundsätzen die vorbehaltlose Ratifikation durch das Staatsoberhaupt den
Staat völkerrechtlich verpflichte. Ibm ist Heilborn, System des Völkerrechtes
143 ff. beigetreten. Ähnlich Rieß, Mitwirkung der gesetzgebenden Körper-
schaften 7, 10. Dieser Auffassung steht jedoch die durchaus konstante
Lehre aller hervorragenden völkerrechtlichen Schriftsteller seit Hugo Grotius
entgegen, welche nicht, wie Tezner a. a. 0. 126 behauptet, lediglich un-
verbindliches „Juristenrecht“ ist, sondern die Bezeugung eines anerkannten
Gewohnheitsrechtes enthält, Der Versuch, aus der völkerrechtlichen Praxis
das gegenteilige Prinzip nachzuweisen (a. a. O. 131 ff.), ist durchaus un-
zulänglich. Auch das Argument Heilborns, daß nur das Staatsoberhaupt
dem anderen Staate gegenüber Willenserklärungen abgebe, erscheint nicht
durchschlagend. Denn wie aus den vom Verf. selbst mitgeteilten Beispielen
hervorgeht, sind bei der Abgabe von Willenserklärungen, d. h. bei der
Ratifikation der Verträge unter Umständen noch andere Organe als das
Staatsoberhaupt beteiligt. Der Verf. erklärt sogar ausdrücklich (a. a. O. 145),
die Möglichkeit sei nicht ausgeschlossen, daß ein Parlament völkerrecht-
liches Staatshaupt werde. Demnach entscheidet also doch das Staatsrechi
und nicht das Völkerrecht.