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selben noch nicht begründet, sondern erst durch Einführung
seitens der betreffenden Staatsgewalt®. Diese Einführung kann
nun aber entweder so erfolgen, daß die verbindlichen Vorschriften,
welche der Vertrag enthält, durch ein besonderes Gesetz festge-
stellt werden, oder so, daß dem Vertrage durch Publikation in
der Gesetzsammlung unmittelbare gesetzliche Kraft beigelegt wird.
Das Recht der Einführung von Staatsverträgen steht im absoluten
Staat selbstverständlich ebenfalls dem Monarchen zu. In kon-
stitutionellen Staaten ist dagegen für die Ein- und Durchführung
der Staatsverträge eine Mitwirkung der Volksvertretung erforder-
lich, [wenn der betreffende Vertrag Bestimmungen enthält, welche
nach Maßgabe der Verfassung von der Staatsregierung nicht ein-
seitig, sondern nur mit Zustimmung der Volksvertretung getroffen
werden dürfen, wenn er also insbesondere finanzielle Ausgaben
notwendig macht oder Änderungen im Rechtszustand des be-
treffenden Landes bewirkt]. Die Zustimmung der Volksvertretung
kann entweder in der Art eingeholt werden, daß derselben eine
zur Ausführung des Vertrages notwendige Gesetzes- bzw. Budget-
yorlage unterbreitet, oder in der Art, daß ihr der Vertrag selbst
zur Genehmigung vorgelegt wird®.
Die Verfassungen der deutschen Einzelstaaten
® Zorn, Deutsche Staatsverträge a. a. O. und AnnDR 1889 374 ff, von
der unrichtigen Auffassung ausgehend, daß es kein Völkerrecht, sondern
nur ein äußeres Staatsrecht gibt, verwirft die Unterscheidung der völker-
rechtlichen und der staatsrechtlichen Seite der Staatsverträge vollständig.
Er nimmt an, daß die Verträge auch gegenüber den Untertanen verbindliche
Kraft durch die Ratifikation erhalten, obwohl letztere nur ein Akt gegen-
über dem anderen Kontrahenten, nicht gegenüber den Untertanen ist. Von
ähnlichen Anschauungen geht die [selbstverständlich ganz unhaltbare] Be-
hauptung Zorns Staatsr. 1 497 ff. aus, daß die Staatsverträge „gar keinen
juristischen Charakter“ hätten. Vgl. dagegen auch Jellinek, Staatenverträge
. 55; Laband 2 132 N. 2. — Von einem ganz anderen Standpunkte aus
behauptet W. Kaufmann, Rechtskraft des internationalen Rechtes S. 30, daß
durch Staatsverträge unmittelbare Rechte und Pflichten der Staatsangehörigen
begründet würden, weil das durch dieselben geschaffene objektive Recht
die Untertanen direkt verpflichte. Diese Auffassung ist desbalb nicht zu-
treffend, weil die Begründung derartiger Pflichten eine Ausübung von Herr-
schaftsrechten voraussetzt, welche nur dem eigenen Staate über seine Unter-
tanen zusteht. Wenn einzelne richterliche Erkenntnisse Bestimmungen von
Staatsverträgen als unmittelbar anwendbares Recht behandeln, so liegt den-
sclben doch stets die Auffassung zugrunde, daß diescs Recht in dem be-
treffenden Staate kraft des Willens der in ihm herrschenden Staatsgewalt
gilt. Deshalb können auch, wie im Gegensatz zu Kaufmann a. a. O. 71 ff.
und in Übereinstimmung mit der herrschenden Praxis behauptet werden
muß, Staatenverträge durch spätere Gesetze geändert werden. Ein solches
Verfahren ist zwar völkerrechtlich unzulässig, aber staatsrecht-
lich möglich. Vgl. auch Triepel a. a. O, 181 ff. FÜbereinstimmend mit
dem Text Anschütz, Enzykl. 173, 174.]
® Die erste Form des Verfahrens ist in England die allein übliche.
Das englische Parlament kennt, wie Gneist (a. a. O. 341) mit Recht hervor-
hebt, keine Geschäftsform, in welcher die Zustimmung zu Staatsverträgen
zu erteilen wäre, rel. zu dcm englischen Oqeiem auch Ricß a. a. O. 7 ff.,
sowie namentlich Hatschck, engl. StR 1 622 fi.]