Die Funktionen. $ 189. 815
nicht, den repräsentativen Körperschaften eine zur Ausführung
des Vertrages bestimmte Gesetzes- oder Budgetvorlage zu unter-
breiten; Landtag und Bürgerschaft haben Anspruch darauf, daß
ihnen der Vertrag selbst zur Genehmigung vorgelegt wird. Diese
Vorlegung muß vor der Ratifikation erfolgen, weil das Staats-
oberhaupt die völkerrechtliche Verpflichtung für den Staat erst
dann sicher übernehmen kann, wenn die Möglichkeit, den Vertr
staatsrechtlich in Wirksamkeit zu setzen, endgültig feststeht!.
Übrigens muß die Volksvertretung auch mit solchen Verträgen
befaßt werden, deren Vorlegung durch die Verfassung nicht aus-
drücklich vorgeschrieben ist, wenn dieselben Bestimmungen ent-
halten, welche nach dem Staatsrecht des betreffenden Landes nicht
ohne Zustimmung der Volksvertretung erlassen werden dürfen,
zum Beispiel Bestimmungen welche in Freiheit und Eigentum der
Einzelnen eingreifen, bestehende Gesetze abändern, die Staatskassen
mit Ausgaben belasten. In diesem Falle steht es aber im Belieben
der Regierung, ob sie den repräsentativen Körperschaften den
Vertrag selbst oder eine zu seiner Ausführung bestimmte Gesetzes-
oder Budgetvorlage unterbreiten will.
Staatsverträge müssen, um für die Untertanen verbindlich zu
sein, publiziert werden®. Korrekterweise sollte jedem Vertrage
ein besonderes Einführungsgesetz oder eine Einführungsverordnung
hinzugefügt werden, welche demselben verbindliche Kraft verleiht.
Diese Form ist in mehreren deutschen und außerdeutschen Staaten
üblich, in anderen, (den meisten) begnügt man sich mit einer ein-
fachen Bekanntmachung des Vertragesd im Gesetzblatt. Letztere
Praxis besteht auch in Preußen. Der auf diese Weise eingeführte
Vertrag hat die Kraft eines Gesetzes, Die mit Gesetzes-
kraft ausgestatteten Vorschriften, welche den Inhalt des Vertrages
bilden, gelten aber selbstverständlich nur so lange, wie der Vertrag
selbst besteht. Sie werden hinfällig, wenn der Vertrag erlischt.
Insbesondere hat das Staatsoberhaupt oder das zur völkerrecht-
rechtlichen Theorien“ Tezner in Grünhuts Ztschr. 20 168 ff.; Schoen a.a. 0,
414 N. 1; vgl. auch Triepel, Völkerrecht u. Landesrecht 239 ff]
10 Vgl, Laband 2 157; R. v. Mohl, Württembergisches Staatsrecht 8 115,
v. Seydel-Graßmann, Bayer. StR 2 631 („Der Landtag hat Anspruch darauf,
daß er in Gegenständen seines Wirkungskreises in keine Zwangslage ver-
setzt wird“), Am klarsten tritt dieser Grundsatz in der Formulierung hervor,
wie sie die württembergische, anhaltische und reußische Verfassung ent-
halten. Aber auch die Praxis der andern deutschen Staaten entspricht
demselben. Dagegen wird das englische Parlament mit völkerrechtlichen
Verträgen immer erst nach geschehener Ratifikation befaßt, Vgl. E. Meier
a. a. O. 116 ff. PR 8.2.0. 38fl.; Hatschek, Engl. StR 1 622 fi. Auch die
neueste Praxis (8. das. 625) hat hieran nichts geändert.] '
c Vgl. Näheres bei E. Meier a. a.0. 329 ff.; Laband 2 168—165; Fleisch-
mann WStVR 8 513.
d Genauer: des zwischen den Unterhändlern vereinbarten Vertragstextes
also der „Punktation“, oben 8. 811), mit Hinzufügung der Notiz, daß die
tiikation erfolgt und der Austausch der Ratifikationsurkunden erfolgt sei.
Die Ratifikationsurkunde selbst wird in der Regel nicht mit publiziert.