Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Die Funktionen. $ 196. 839 
2. Das Landheer. 
8 196. 
[Über die staatsrechtliche Natur des deutschen Landheeres 
sind die Meinungen geteilt. Eine in der Wissenschaft weit ver- 
breitete Ansicht (Theorie des Einheitsheeres) nimmt an, daß 
zwischen der — unbestrittenermaßen rein unitarischen (s. unten 
& 199) — Struktur der Kriegsmarine und der des Heeres ein 
grundsätzlicher Unterschied nicht bestehe, daß wie jene, so auch 
dieses eine nicht sowohl faktische (technische) als staatsrecht- 
liche Einheit, eine reichseigene, in eigener und unmittelbarer 
Reichsverwaltung stehende Anstalt darstelle. Danach gibt es in 
Deutschland nur ein einziges, einheitliches Heer und dieses ist 
ein Reichsinstitut, Kontingente der Einzelstaaten sind dem Namen 
und der Form nach, nicht aber im Rechtssinne vorhanden!. Die Ver- 
treter dieser Auffassung stützen sich auf den Wortlaut der Reichs- 
verfassung, welche von der „gesamten Landmacht des Reiches“ 
sagt, daß sie „ein einheitliches Heer“ bilden werde (Art. 63 Abs. 1), 
auf die große Zahl und Stärke der dem Reiche nach der Ver- 
fassung zustehenden Militärhoheitsrechte (s. unten), namentlich auf 
die kaiserliche Befehlsgewalt, sowie auf die vorhandenen äußeren 
Zeichen der Heereseinheit, wie die Durchnummerierung der Re- 
gimenter und die grundsätzliche Gleichheit der Uniformierung. 
Mit widersprechenden, ebenso unbestreitbaren Tatsachen, wie z. B. 
der, daß die Verfassung von den „Kontingenten“ der Einzel- 
staaten als von fortdauernd bestehenden Einrichtungen spricht 
(Art. 63, 64, 66), findet man sich ab, indem man sie für „unter- 
geordnete Momente“ erklärt, die „mehr auf historischen Ver- 
a 728) als auf prinzipiellen Gesichtspunkten beruhen“ (Vor- 
aufl. 722). 
Demgegenüber vertreten andere den Standpunkt, daß das 
deutsche Heer eine Einheit wohl im militärisch-technischen, nicht 
aber im staatsrechtlichen Sinne, nicht im Sinne einer reichseigenen 
Anstalt sei; der heutigen deutschen Heeresverfassung liege, ohne 
Bruch mit der geschichtlichen Überlieferung und ohne Abweichung 
von den Vorbildern aus der Zeit von 1849 und 1866 (oben 838), 
fortdauernd das Kontingentssystem zugrunde (Theorie des 
Kontingentsheeres). Danach kennt die Reichsverfassung kein ein- 
heitliches Heer, wie sie eine einheitliche Marine kennt (s. u. $ 199), 
sondern nur Kontingente der Einzelstaaten; das deutsche Heer ist 
nach der Verfassung ein Kontingentsheer®. 
ı Die Hauptvertreter dieser Ansicht sind Haencel, Brockhaus, Zorn, 
Schulze, G. Meyer (AnnDR 1880 837 ff., Voraufl. $ 196), Arndt, diese alle 
oben $ 195 Anm, 1 zitiert, — ferner Gierke in Schmollers Jahrb. 7 1108; 
Bornhak, Preuß. StR 8 39; Westerkamp, Staatenbund u. Bundesstaat 197; 
v. Kirchenheim, Lehrb. d. deutsch. Staatsrechts 344 ff.; Fischer, Recht des 
Deutschen Kaisers. 75 fl. 
2 So vor allem Laband und v. Sceydel (s. o. 5 195 N. ]), ferner Toening, 
Grundzüge der RV 105, 106, Anschütz, Enzykl. 176 ff.; Gümbel, AnnDR 18