Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

840 Zweiter Teil. Drittes Buch. $ 196. 
Der zweiten Ansicht haben sich, und zwar von jeher und 
ohne Schranken, die zuständigen amtlichen Instanzen, der Bundes- 
rat und die Reichsleitung, die Kriegsministerien, das Reichs- 
gericht, angeschlossen®; sie ist für die richtige zu erachten. 
Auf die Tatsache, daß die Verfassung das Heer als ein „ein- 
heitliches“ bezeichnet, ist hier, wo es sich um eine juristische 
Konstruktionsfrage handelt, kein entscheidendes Gewicht zu legen, 
denn die Verfassung verwendet das Wort „einheitlich“ ebenso oft 
zur Bezeichnung einer technischen, wirtschaftlichen oder sonst 
faktischen wie zur Hervorhebung einer rechtlichen Einheit“. 
Den äußeren Zeichen der nationalen Einheit des Heeres stehen, 
und zwar in überwiegender Zahl, Symbole des Partikularismus 
gegenüber: Landeskokarden 5, Fahnen in den Landesfarben, Landes- 
wappen als Helmzier und in den Siegeln der Militärbehörden, 
artikularistische Gestaltung der Amtsbezeichnungen (nicht „kaiser- 
lich®, sondern „königlich“) und der Fahneneide (s. u. 850). Und 
was die vereinheitlichenden Reichseinrichtungen, vor allem die 
kaiserliche Kommandogewalt, betrifft, so fragt es sich ja gerade, 
ob diese Einrichtungen Konsequenz oder Modifikation des der 
Heeresverfassung zugrundeliegenden Prinzips sind. Das Wesen 
dieses Prinzips besteht nicht darin, die einzelstaatliche Militär- 
hoheit formal zu zerstören, sondern darin, sie materiell unschäd- 
lich zu machen; unter Aufrechterhaltung der Vielheit in der Form, 
also des Kontingentssystems, Einheit in der Sache herbeizuführen ®. 
Weder bei der Gründung des Norddeutschen Bundes, noch bei 
der Erweiterung desselben zum Reiche hat die Absicht bestanden, 
den Boden der geschichtlich überlieferten Kontingentsverfassung 
des deutschen Heeres völlig zu verlassen. Niemals sind die Kon- 
tingente der Einzelstaaten von Reichswegen in eine einheitliche 
Reichsarmee verschmolzen worden, wohl aber hat man sie, nach- 
dem die kleinsten von ihnen und auch viele größere mit dem 
größten der partikularen Heereskörper, der preußischen Armee, 
durch Verträge (Militärkonventionen ’) verbunden worden waren, 
147 ff.;: Grassmann, AnnDR 1898 734; Triepel, Reichsaufsicht 220 ff.; Frhr. 
Marschall v. Bieberstein, Verantwortl. u. Gegenzeichnung 345 ff, 576 £.; Dam- 
bitsch, Komm. z. RV 600 ff.; v. Jagemann, Reichsverf. 184 ff.; Gordan, AnnDR 
1908 481 ff.; die oben $ 195 N. 1 angegebenen Schriften von Burhenne, 
W. F. Müller, Jost. 
® Hervorzuheben vor allem die im Auftrage des Reichskanzlers ver- 
faßte Denkschrift aus den achtziger Jahren, abgedruckt ArchÜffR 4 150 fl. 
el ferner RGZivils. 20 150 ff.; weitere Angaben bei Laband 4 6, Anm, und 
nm, 2, 
* Vgl. die Bezeichnung der deutschen Eisenbahnen als „einheitliches 
Netz“ (Art. 42), der Handels- (nicht nur der Kriegs-)marine als „einheitlich“ 
(Art. 54). Anschütz, Enzykl. 177. 
5 Die Reichskokarde wird im Heere (im Gegensatz zur Marine) über- 
haupt erst — auf Grund einer übereinstimmenden Verordnung der Kontingents- 
herren — seit 1897, und zwar neben, nicht statt der Landeskokarde ge- 
tregen. Vgl. Laband 4 65, 66, Dambitsch a. a. O. 605. 
° Vgl. die vorzüglichen Ausführungen bei Laband 4 2 ff., 10 ff. 
’ Vgl. unten 851 ff.
	        
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