Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

840 Zweiter Teil. Drittes Buch. 8 196. 
eine Befugnis, die den Kontingentsherren — unter Vorbehalt der 
dem Kaiser durch Art. 64 RVerf. übertragenen Ernennungs- und 
Kontrasignaturbedürftigkeit zu leugnen. Die schwierige und vielumstrittene 
Frage kann hier nicht eingehend erörtert werden. Bereits in anderem Zu- 
sammenhange (oben $ 84 und Anm. f, ; 135 und Anm. r) ist gesagt worden, 
daß militärische Anordnungen der Landesherren und des Kaisers der ministe- 
riellen Verantwortlichkeit und dem Kontrasignaturgebot ebenso unterliegen 
wie andere Regierungsakte, und daß hiervon grundsätzlich auch solche An-. 
ordnungen nicht ausgenommen sind, die dem Gebiete der Kommandogewalt 
angehören. Auch wenn man also die Offiziersernennung als Kommando- 
akt ansehen will, würde daraus weder die Entbehrlichkeit der Kontra- 
signatur noch gar der Wegfall jeder ministeriellen Verantwortlichkeit folgen. 
Die Gegenansicht stützt sich in erster Linie auf die preußische Praxis und 
die für dieselbe richtunggebende kgl. Kab.-Order vom 18. Januar 1861 (Wort- 
laut u. a. bei Marschall v. Bieberstein a. a. O. 67, 68), nach welcher könig- 
liche „Ordres in Personalangelegenheiten“ — insbesondere also die Offiziers- 
patente — „ohne Gegenzeichnung, zu expedieren“ sind. Indessen wird bei 
der Heranziehung dieser Vorschrift (welche übrigens, nach ihrem eigenen 
Wortlaut, „weder die Stellung des Kriegsministers noch verfassungsmäßig 
bestehende Normen alterieren“ will, — dies ja auch gar nicht könnte, selbst 
wenn sie es wollte) meist folgendes übersehen: 1. Die Kab.-Order von 1861 
bezieht sich nicht auf den Erlaß, sondern nur auf die Bekanntmachun 
bzw. die Ausfertigung und Zustellung der kriegsherrlichen Erlasse; es wir 
nicht vorgeschrieben, diese Erlasse nicht zu kontrasignieren, sondern nur, 
sie ohne Gegenzeichnung zu „expedieren“. Die Gegenzeichnung des Kriegs- 
ministers erfolgt demgemäß beı Offiziersernennungen nicht auf der dem 
Ernannten ausgehändigten Reinschrift der Ernennungsurkunde (dem „Patent“), 
sondern sozusagen im Geheimen, auf einem besonderen, internen Aktenstück 
(vgl. das nähere in Nr. 2, 3 der Kab.-Order und dazu die nach allen Seiten 
hin trefflich orientigrende Darstellung bei v. Marschall a. a. O. 232 ft., 283 ff.). 
2. Daß nach der preußischen Praxis die Offizierspatente nur die Unterschri 
des Königs, nicht die Gegenzeichnung des Kriegsministers tragen, steht 
nicht im Widerspruch mit dem Grundsatz der Ministerverantwortlichkeit 
bzw. dem Kontrasignaturgebot (Art. 44 preuß. VU) Denn diesem Grund- 
satz ist — wie Rehm a. a. O. 18ff. einleuchtend ausführt — auch schon 
enügt, wenn die von dem Monarchen genehmigten Personalvorschläge 
Ge. des Militärkabinetts) in irgendeiner Art vom Kriegsminister amtlich zur 
Kenntnis genommen und summarisch gegengezeichnet werden. Aus 
Art. 44 preuß, VU bzw. Art. 17 RVerf. folgt nicht, daß jedes einzelne 
Offizierspatent gegenzuzeichnen ist. 9, Selbst wenn der letztere Satz un- 
richtig wäre, würde daraus noch nicht die Ungültigkeit des Patents und 
der darin ausgesprochenen Ernennung folgen. Denn soweit die ministerielle 
Gegenzeichnung bei Akten des obersten Kriegs- bzw. Kontingentsherrn er- 
forderlich ist, erscheint sie nie als Voraussetzung der Gültigkeit des be- 
treffenden Aktes. Dies ist von v. Marschall überzeugend dargetan; vgl. 
oben $ 84 Anm. f, 8 1385 Anm. r. 4. Endlich ist es verfehlt, wenn, was 
vielfach geschieht, aus dem Fehlen der ministeriellen Gegenzeichnung bei 
Anordnungen des obersten Kriegsherrn ohne weiteres auf das Nichtvorhanden- 
sein jeder konstitutionellen Verantwortlichkeit geschlossen wird. Die Ver- 
antwortlichkeit des Ministers kann auch auf einem anderen Wege als auf 
dem der Kontrasignatur begründet werden, nämlich durch stillschweigende, 
in schlüssigen Handlungen sich äußernde Billigung des Aktes seitens des 
Ministers vgl. oben 527 und Anschütz, Enzykl. 112, 126). — Nach alledem 
ist für die Handhabung des kontingentsherrlichen Offizierernennungsrechts 
der Kriegeminister, für die des kaiserlichen (oben 843, 844) Ermennungsrechts 
der Reichskanzler konstitutionell verantwortlich, gleichviel, ob man dieses 
Recht als Bestandteil der Militärverwaltung oder der Kommandogewalt auf-
	        
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