Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

888 Zweiter Teil. Drittes Buch. $& 204a. 
an dem, was man „Einnahmebewilligungsrecht“ nennt. Die Folge 
der Erkenntnis dieser Tatsache war, wie Gneist®® zutreffend be- 
merkt, „ein von Jahr zu Jahr sich fortsetzendsr Drang, den ge- 
suchten konstitutionellen Einfluß, den man auf der Einnahmeseite 
verfehlt hatte, auf der Ausgabeseite zu finden“. Als Ausgleich 
für den entgangenen Gewinn des Einnahmebewilligungsrechts wurde 
und wird nicht selten noch heute in der politischen Praxis wie in 
der Wissenschaft ein rechtlich unbeschränktes Ausgaben- 
bewilligungs- und -verweigerungsrecht behauptet. 
Jedoch ohne Anhalt in der Verfassung und auch sonst zu Unrecht. 
Aus der unzweideutigen Verneinung des Rechts der Volks- 
vertretung, die „bestehenden“, d. h. auf Gesetz beruhenden Steuern 
zu verweigern (Art. 109), folgt mitnichten durch Gegenteilsschluß 
das volle Ausgabenverweigerungsrecht. Art. 99 der preußischen 
Verfassung sagt nicht, daß die Ausgaben „bewilligt“, sondern nur, 
daß sie „veranschlagt“ werden sollen, legt zudem den Ton des 
Satzgefüges mehr auf „für jedes Jahr“ wie auf „veranschlagt“. 
Die Verfassung sagt auch sonst nirgends, daß ihr Art. 99 im 
Sinne des belgischen Budgetrechts bzw. der Vorstellungen, welche 
der politische Radikalismus um 1848 sich von diesem Budgetrecht 
gemacht hat, auszulegen sei. Eine dahingehende Auslegung ist 
rechtsirrtümlich. Rechtsirrtümlich insbesondere mit der Be- 
gründung®, daß der gemäß Art. 99 festgestellte Etat ein Gesetz 
„wie jedes andere“, ein Gesetz im formellen und materiellen Sinne ?° 
sei: „die oberste, alle gesetzlichen Einzelbestimmungen zusammen- 
ordnende und damit ergänzende, verfassungsmäßig notwendige 
Ermächtigung für die Finanzverwaltung behufs der Verwendung 
aller voraussehbaren Einnahmen und behufs der Bewirkung aller 
voraussehbaren Einnahmen des Etatsjahres“ #7, Wäre dem so, so 
wären allerdings „alle Gesetze, welche dem Staat dauernde Aus- 
gabepflichten auferlegen, nach der Verfassung in ihrer rechtlichen 
istenz bedingt von dem alljährlich zu erlassenden Vollzugs- 
gesetz, welches im Etat liegt“ 2°; sie alle würden der jährlich 
zu erneuernden Vollziehbarkeitserklärung seitens des Landtags 
bedürfen. Dies als Sion und Absicht der Verfassung zu ver- 
muten, geht nicht an. Zur Klarheit über das Budgetrecht der 
reußischen Volksvertretung gelangt man nicht auf Grund der 
Lehre, wonach das Etatsgesetz „ein Gesetz wie jedes andere“ sei 
und daß es das alljährlich von der Regierung bei dem Landtage 
nicht. Einnahmen aus neuen und aus Erhöhung der bestehenden Steuern, 
ferner aus Anleihen und aus der Veräußerung gewisser Teile des Staats- 
vermögens (unten, 894 ff.) bedürfen besonderer Bewilligung. 
a 
A » Belege hierfür bei Gneist a. a. O. 167. Vgl. im übrigen unten $ 205 
nm. 4. 
#5 v. Martitz, Zorn, Haenel; vgl. unten $ 205 Anm. 2. 
26 ben S,. 646, 647. 
"7 So: Haenel, Studien 2 328. 
-3 So: Zorn, StR 1 451.
	        
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