Die Funktionen. $ 205. 891
Die Feststellung des Etats muß sich innerhalb der ge-
setzlichen Schranken bewegen. Die englische Einrichtung
der formellen Teilung des Budgets in einen gesetzlich fest-
stehenden und einen beweglichen Teil hat in Deutschland keinen
Eingang gefunden. Materiell besteht aber auch in den deutschen
Staaten diese Unterscheidung. Die deutschen Landtage besitzen
kraft ihres Etatsrechts kein unbeschränktes Einnahme- und Aus-
gabebewilligungsrecht. Da sie die bestehenden Gesetze nicht ein-
seitig aufheben können, so sind sie verpflichtet, die gesetzlich
feststehenden Einnahmen und Ausgaben in den Etat aufzunehmen;
schen. Denn von dem Standpunkt dieser aus haben die Etatsfestsetzungen
über die gesetzlich feststehenden Einnahmen und Ausgaben auch bei dem
in Gesetzesform auftretenden Etat nur den Charakter von Deklarationen
bez. Veranschlagungen; andererseits ist aber der ohne Gesetzesform zwischen
Begierung und Landtag vercinbarte Etat für die Finanzverwaltung ebenso
bindend wie der durch Gesetz festgestellte. [Der Unterschied zwischen den
beiden !,TYypen“ des deutschen Budgetrechts, dem preußischen, von der
Reichsverfassung übernommenen und dem mittelstaatlichen (insbesondere
bayerisch-sächsischen) System ist namentlich von Seydel in seinen Arbeiten
über bayerisches Budgetrccht (s. oben $ 204 N. 1 und $ 204a N. 8, 12) klar-
estellt worden. Es kann zugestanden werden, daß bei richtiger Auf-
assung der rechtlichen Natur des Budgets, welches auch dann, wenn es
im Gewandce des formellen Gesetzes erscheint, ein Verwaltungsakt ist und
bleibt, der Unterschied der beiden Typen im praktischen Effekt gering cr-
scheint. Insbesondere ist die Bindung der Regierung an das zustande-
gekommene Budget in Bayern und Sachsen nicht schwächer als in Preußen,
andererseits die bud ctrechtliche Macht des preußischen Landtages, welche
über den Staatshaushalt in legislativen Formen beschließt, nicht stärker
als der entsprechende Einfluß der bayrischen oder sächsischen Volksvertretung,
denen nach der Verfassung nur das Recht zusteht, das Budget zu „prüfen“
(oben 882). Es ist weiterhin zuzugeben, daß die neuere Rechtsentwicklun
und die Praxis der Mittelstaaten, insbesondere in Württemberg, Baden un
Hessen (oben S. 884, 885) vieles dazugetan hat, um den Unterschied der beiden
Budgetrechtssysteme zu verwischen. Trotzdem aber besteht dieser Unter-
schied, und zwar mit einer im juristischen Sinne grundsätzlichen Be-
deutung auch heute noch. So die herrsch. M.; vgl. außer v. Seydel und
Haenel a. a. O.: Laband 4 578; Jellinek im Handwörterb. a. a. O. 815; Zorn,
AnnDR 1889 367 ff.; van Calker, Das Bad. Budgetrecht 1 4ff.; Anschütz,
Enzykl. 187 ff.; — Die Seydelsche Grundauffassung des bayrischen Budget-
rechtes ist auch von Graßmann in seiner Bearbeitung der 3. Aufl. des
Seydelschen Staatsrechts, 2 95ff. gegen die inzwischen erfolgten Angriffe
Rehms, AnnDR 191 641ff. aufrechterhalten worden. Eine ausführliche
Widerlegung Rebms gibt Piloty in den Blättern f. admin. Praxis, zunächst
in Bayern 8 1ff. Ahnlich wie Rehm dagegen Geßler, Die budgetrechtliche
Bedeutung der Staatsausgaben nach bayer. Staatsrecht (Erlanger Diss. 1900).
Die Ausführungen Rehms scheitern jedenfalls an dem klaren Wortlaute der
bayrischen Verfassung, dem eine „Feststellung des Budgets in Gesetzesform“
unbekannt ist und demzufolge das Budget, insbesondere also auch der Aus-
gabebedarf den Ständen nur zur „Prüfung“ vorzulegen ist. Die Worte
Prüfung“ und „prüfen“ kann Rehm aus der genannten und anderen Ver-
fassungen (vgl. Bayr. Verf. Tit VII $ 4, Württ. Verf. $ 111) nicht veg-
schaffen. Vgl. weitere Literaturangaben bei Scydel-Graßmann a. a. O. 2 95,
om. 1.
Die grundsätzliche Bedeutung des in Rede stehenden Unterschiedes
wird außer von Rehm noch geleugnet von O. Mayer, Deutsches V,-R. (1. Aufl.)
1 384 N. 14 und Sächs. StR 200 Anm. 201.