Die Funktionen. $ 212b. 943
Der Bundesrat beschließt nach Art. 7 Abs. 1 Ziff. 3 „über
Mängel, welche bei der Ausführung der Reichsgesetze .. . hervor-
treten“ (oben $ 121 Anm. 5). Die hier gemeinten Mängel sind nicht
solche, welche den Reichsgesetzen, sondern solche, die der sie aus-
führenden Tätigkeit der Einzelstaaten anhaften, Verfehlungen ins-
besondere der einzelstaatlichen Verwaltungstätigkeit, welche von
den Einzelstaaten dem Reiche gegenüber zu vertreten sindi. Der
Bundesrat hat nicht nur über das Ob, sondern auch über das Wie
der Beseitigung der von ihm gerügten Mängel zu beschließen.
Sein Beschluß ist keine bloße Belehrung oder Mahnungk, sondern
eine einem verwaltungsgerichtlichen Urteil vergleichbare, formelll
rechtskräftige, sofort vollstreckbare Entscheidung, verbunden mit
dem Befehl an den beteiligten Einzelstaat, sich ihr gemäß zu ver-
balten®. Die Frage, wie der Einzelfall zur Entscheidung des
Bundesrates an diesen gelangt, ist in der Reichsverfassung nur
für ein einzelnes Sachgebiet, nämlich die Beaufsichtigung der Ver-
waltung der Zölle und Reichssteuern geregelt; Art. 36 RVerf be-
stimmt hierüber, daß die von den Reichsaufsichtsbeamten über
Mängel bei der Ausführung der gemeinschaftlichen (d. h. Reichs-)
Gesetzgebung gemachten Anzeigen dem Bundesrate zur Beschluß-
fassung vorgelegt werden. Im übrigen ist in dieser Beziehung
nichts vorgeschrieben. Der Bundesrat wird zur Beschlußfassung
gemäß Art. 7 Ziff. 3 in der Regel dann veranlaßt werden, wenn
eine Meinungsverschiedenheit zwischen dem Kaiser bzw. der Reichs-
leitung und der beteiligten Landesregierung darüber obwaltet, ob
ein Mangel im Sinne des Art. 7 Ziff. 3 vorliegt oder nicht. Die
Beschlußfassung kann alsdann sowohl von der Reichsleitung als
aber für das, was man in ihn hineinlegt, nicht beweiskräftig ist. Vgl. die
Darstellung der Streitfrage bei Triepel a. a. O. 555 ff.
i Der aus der undeutlichen Fassung nicht leicht zu entnehmende Sinn
des Art. 7 Ziff. 3 ist zuerst von Laband 1 258 ff. (vgl. die entsprechenden
Stellen der Vorauflagen) klargestellt worden. Vgl. jetzt besonders Triepel
sis ff., 526 ff., 681 ff. Sicher ıst, daß Art. 7 Zuift. 3 sich nur auf die Aus-
führung der Reichsgesetze und Reichsverordnungen durch einzelstaat-
liche, nicht durch Reichsorgane bezieht; Verfehlungen, welche sich die
letzteren — die Behörden und Beamten der eigenen und unmittelbaren
Reichsverwaltung — zu Schulden kommen lassen, werden nicht vom Bundes-
rate gemäß Art. 7 Ziff. 3, sondern im Dienstaufsichtswege durch die vor-
gesetzten Reichsstellen, in oberster Instanz vom Kaiser festgestellt und ab-
gestellt. Vgl. Laband 1 262.
k So Seydel, Staatsrechtl. und polit. Abhandl. NF 108: „bundesfreund-
liches Avertissement“. Vgl. auch Seydel, Komm. 62, 144; ähnlich, wenn
auch nicht so weitgehend Laband 1 112,267. Smend, Festgabe für O. Mayer
255 Anm. 9 hält die Seydelsche Auffassung staatsrechtlich für unrichtig,
„tatsächlich-politisch“ für zutreffend, Hier kommt es aber auf das Staats-
recht, nicht auf die Politik an.
I — nicht materiell. Der Bundesrat ist an seine Entscheidung nicht
gebunden, er kann sie abändern: Triepel 663, 664.
m Richtig Triepel 639—642. Als „Entscheidung bezeichnet den auf
Grund des Art. 7 Ziff. 3 ergehenden Bundesratsbeschluß auch Thoma, Ver-
handlungen des 30. Juristentagee 1 68. Selbst Laband (vgl. oben Anm. k)
gibt zu, daß der Bundesratsbeschluß „ein Urteil enthalten kann“, Staatsr. 1 267.