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Nachsteuer und bäuerliche Unfreiheit waren aber nicht bloß
ein Hindernis für die Auswanderung, sondern beengten auch den
freien Verkehr innerhalb des Landes. Diesen trat außerdem noch
das Interesse der Gemeinden entgegen, seitdem auf sie die Last
der Armenunterstützung übergegangen war. Um sie vor Über-
lastung zu schützen, wurde ihnen das Recht eingeräumt, gegen
jede Niederlassung einer Person, bei der Gefahr vorhanden war,
daß sie der Armenunterstützung verfiel, Widerspruch zu erheben.
Ein festes Wohnrecht besaß nur der, welcher in der Gemeinde
beheimatet, d. h. ihr durch Geburt oder Verheiratung angehörte
oder von ihr, sei es als Gemeindeangehöriger, sei es als Schutz-
genosse, förmlich aufgenommen war. Aus denselben Gründen
wurde auch zur Eingehung einer Ehe der Besitz des Gemeinde-
bürgerrechtes, die Genehmigung der Gemeinde oder eine sonstige
obrigkeitliche Bewilligung erfordert®. Zum Betrieb eines Gewerbes
waren ebenfalls nur Gemeindebürger befugt, abgesehen davon, daß
dieses Recht durch vielfache privatrechtliche Privilegien, nament-
lich das Verbietungsrecht der Zünfte und die Realgewerbeberechti-
gungen beschränkt wurde.
Erst seit Ende des achtzehnten Jahrhunderts kamen allmählich
die Grundsätze der persönlichen Freiheit zum Durchbrnch. Mit
Aufhebung der bäuerlichen Unfreiheit (Leibeigenschaft, Erbunter-
tänigkeit; Preußen: Edikt vom 9. November 1807) fielen alle Be-
schränkungen fort, welche in derselben ihren Ursprung fanden.
Die Abzugsrechte wurden durch völkerrechtliche Verträge der ein-
zelnen Staaten untereinander beseitigt und gleichzeitig mit ihnen
auch die inländische Nachsteuer der Städte und Gutsherrschaften
in Wegfall gebracht. Art. 18 der BA sicherte den Untertanen
der deutschen Bundesstaaten das Recht des freien Wegzuges in
jeden anderen Bundesstaat, der sie erweislich zu Untertanen an-
nehmen wollte, und die Freiheit von aller Nachsteuer zu, sofern
das Vermögen in einen anderen Bundesstaat überging. Ein Bundes-
beschluß vom 23. Juni 1817 interpretierte die Bestimmung dahin,
daß darunter auch die an Guts- oder Gerichtsobrigkeiten oder
Städte zu zahlende Nachsteuer zu verstehen sei. Dagegen blieben
die Beschränkungen der Niederlassung und Verehelichung, welche
aus polizeilichen Gründen oder im Interesse der Gemeinden ein-
geführt waren, noch lange fortbestehen. Dasselbe war hinsichtlich
der Beschränkungen des Gewerbebetriebes der Fall. [Nur Preußen
hat, den deutschen Mittel- und Kleinstasten weit vorauseilend, Ge-
werbe-, Niederlassungs- und Verehelichungsfreiheit schon in den
ersten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts eingeführt: die
Gewerbefreiheit durch die der Stein-Hardenbergschen Reformperiode
angehörigen Edikte vom 2. November 1810 und 7. September 1811,
„5 Vgl. oben $ 112 8. 424. G. Meyer-Dochow 98ff.; F. Thudichum,
Über unzulässige Beschränkungen des Rechtes der Verehelichung, Tü-
ingen .
6 G&. Meyer, Corpus iuris confoederationis Giermanicae Bd. 1I S. 49 ff.