Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Rechtsverhältnisse der Untertanen. $ 220. 063 
4. Verehelichungsfreiheit®, 
Reichsangehörige bedürfen zur Eingehung einer Ehe und der 
damit verbundenen Gründung eines eigenen Haushaltes weder der 
Genehmigung der Gemeinde oder des Armenverbandes noch einer 
obrigkeitlichen Erlaubnis. Die für Beamte (oben 599) und Militär- 
personen bestehenden Beschränkungen sind durch diese Bestim- 
mungen nicht berührt worden. 
Die Freiheit der Verehelichung steht nur Reichsangehörigen 
zu. Die landesgesetzlichen Vorschriften, welche die Eheschließung 
bei Ausländern von einer Erlaubnis abhängig machen, sind be- 
stehen geblieben ®!, 
In Bayern ist das Reichsgesetz vom 4. Mai 1868 nicht ein- 
geführt worden. Infolgedessen kann auch jetzt noch im rechts- 
rheinischen Bayern sowohl seitens der Gemeinde als seitens des 
Regierungsfiskalats des Kreises gegen die Verehelichung aus be- 
stimmten gesetzlichen Gründen Einspruch erhoben werden ®®, 
3. Freiheit der geistigen Bewegung. 
8 220. 
Die Freiheit der geistigen Bewegung äußert sich namentlich 
in der Bekenntnisfreiheit und der Preßfreiheit. 
Die individuelle religiöse Überzeugung! entzieht 
sich als etwas rein Innerliches jeder staatlichen Einwirkung. Nur 
das &ußerliche Bekennen zu einer Religion oder Konfession 
ist rechtlich erfaßbar. Eine Beschränkung der Bekenntnisfreiheit 
kann entweder direkt stattfinden, indem bestimmte Religionen 
oder Konfessionen verboten werden, oder indirekt, indem die 
Angehörigen derselben in bürgerlicher oder politischer Beziehung 
eine rechtlich schlechtere Stellung erhalten, 
Im Mittelalter war jeder Abfall vom katholischen Glauben 
ein Verbrechen und als solches nicht nur mit kirchlichen, sondern 
_- = — _ 
2° RG über die Aufhebung der polizeilichen Beschränkungen der Ehe- 
schließung vom 4. Mai 1868. Vgl. G. Meyer-Dochow 180 ff.; Rehm, Art. Ehe- 
schließung im Handwörterb. der Staatswiss.; Fitz, Art. Verehelichungs- 
wesen im WStVR, 
sı RG über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung 
vom 6. Febr. 1875 8 38. BGB $ 1315. . 
22 Bayr. G., Heimat, Verehelichung und Aufenthalt betr., vom 16. April 
1868 Art. 32—42, Abänderungsgesetze vom 23. Febr. 1872 Art. 5—8, 21. April 
10 und 17. März 1892. Vgl. v. Seydel-Piloty-v. Graßmann, Bayer. StR 
ı Wilda, Erörterungen und Betrachtungen über Gewissensfreiheit, Zeit- 
schrift für deutsches Recht 11 160ff.; Derselbe, Die preußischen Gesetze 
über Glaubens- und Religionsfreiheit, ebenda 266 ff.; Risch, Art. „Bekenntnis- 
freiheit“ im Staatswörterbuch 1 767 ff.; Hinschius-Smend, Art. „Gewissens- 
freiheit“ im WStVR 2 285 ff.; H. Fürstenau, Das Grundrecht der Religions- 
freiheit, Leipzig 1891; Anschütz, Komm. z. preuß, Verf. 1183 ff; L.R. v. Salis, 
Die Religionsfreiheit in der Praxis (1892); Burckhardt, Komm, der schweiz. 
Bundesverf. 476 ff. | 
G. Meyer-Anschütz, Deutsches Staatsrecht, III. 7. Aufl. 62
	        
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