Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

966 Zweiter Teil. Viertes Buch. $ 220. 
Erst seit dem Jahre 1848 ist der Grundsatz der Gleich- 
berechtigung für alle Konfessionen durchgeführt worden. 
Nachdem er in den meisten deutschen Staaten schon durch 
landesgesetzliche Bestimmungen anerkannt war®, hat ihn ein 
besonderes Reichsgesetz zu einem gemeinrechtlichen erhoben’!%, 
Es besteht demnach im Deutschen Reiche völlige Be- 
kenntnisfreiheit. Jeder Reichsangehörige hat das Recht, sich 
zu irgend einem Glauben, oder auch zu keinem, zu bekennen 
und irgend einer Religionsgemeinschaft anzuschließen. Er darf 
wegen seines religiösen Bekenntnisses weder ausgewiesen noch 
bestraft, noch einer Beschränkung seiner bürgerlichen oder politi- 
schen Rechte unterworfen werden. In folgerichtiger Durchführung 
des Grundsatzes der Glaubens- und Gewissensfreiheit muß aber 
der Einzelne auch für befugt erachtet werden, gar keiner Religions- 
gemeinschaft anzugehören, also aus derjenigen, deren Glied er 
bisher war, auszutreten, ohne sich einer anderen anzuschließen !°, 
Für Ausländer gelten dieselben Grundsätze, natürlich vorbehaltlich 
des Rechtes der Regierungen, dieselben aus Gründen der öffent- 
lichen Sicherheit auszuweisen !®. Ihre einzige Schranke findet die 
Bekenntnisfreiheit in den bürgerlichen und staatsbürgerlichen 
Pflichten, welchen sich niemand unter Berufung auf das Glaubens- 
bekenntnis entziehen darf’ [z. B. Wehrpflicht, Gerichtspflicht, 
polizeiliche Verpflichtungen, Beamtenpflichten]. | 
18 Preuß. Verf. Art. 12 (ausführlichen Kommentar zu diesem Art. bei 
Anschütz a. a. O, 188 ff.), Sächs. VerfG vom 3. Dez. 1868 Nr. II, Württ. G. 
vom 81. Dez. 1861, betr. die Unabhängigkeitsstellung der staatsbürgerlichen 
Rechte vom religiösen Bekenntnis, Bad. G., die Aufhebung der Beschränkung 
staatsbürgerlicher Rechte aus Rücksicht der Konfession betr., vom 17. Febr. 
1849, Hess. G., die religiöse Freiheit betr., vom 2. Aug. 1848, S.-Kob.-Goth. 
Sta SS 33 u. 34, Braunschw. G., die Aufhebung der aus dem Glaubens-. 
bekenntnis entsprin enden Rechtsungleichheit betr., vom 23. Mai 1848, Old. 
StGG Art. 92, 33, Schw.-Rud. G. vom 17. Jan. 1868, die Unabhängigkeit 
des Genusses und der Ausübung der bürgerlichen und staatsbürgerlichen 
Rechte vom religiösen Bekenntnis betr., Reuß j. L. VerfG. vom 19. Juli 
1867, Wald. Verf. $ 40, Brem., Verf. $ 12. 
14 RG, betr. die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher 
und staatsbürgerlicher Beziehung, vom 3. Juli 1869, ausgedehnt auf Baden 
und Südhessen durch Art. 80 der Verf. vom 15. Nov. 1870, auf Württember 
durch Vertr. vom 25. Nov. 1870 Art. 2, auf Bayern durch RG vom 22. Ap 
1871 8 2. 
Ri Vgl. A. B. Schmidt, Der Austritt aus der Kirche, Leipzig 1898, S. 8 ff. 
In einzelnen Staaten ist der Grundsatz ausdrücklich ausgesprochen worden; 
in bezug auf andere besteht Streit. And. Ansicht hinsichtlich dieser nament- 
lich Rieker a, a. O0. 335 ff. Wie der Text: Anschütz a. a, O. 195, 196. 
18 Vgl. $ 215 S. 950; Anschütz 197, 226. 
17 Preuß. Verf. Art. 12, Sächs. Verf&. vom 3. Dez. 1868 Nr. Il, Hess. G. 
vom 2. Aug. 1848, S.-Kob.-Goth. StGQG & 34, Braunschw. NLO 8 29, Old. 
StG Art. 3%, Schw.-Rud. G. vom 17. Jan. 1868, Reuß j. L. Verf@ vom 19. Juli 
1867, Wald. Verf. 8 40, Brem. Verf. $ 12. Vgl. Anschütz 238 ff. sowie die 
Abhandlungen von .Fleiner, Schranken der Kultusfreiheit, Ztschr. f. Schweiz. 
Recht NF Bd. 28, auch im Sonderabdruck, Basel 1903, die sich zwar auf 
schweizerische Verhältnisse bezieht, aber in ihren Ergebnissen auch auf das 
in Deutschland geltende Recht zutrifft.
	        
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