Full text: der Weltkrieg 1914. Band 2. (1)

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anfangs August ist keine diplomatische Enthüllung von der gleichen durch- 
schlagenden Wucht mehr erfolgt. 
Es ist nun durch Originaldokumente für alle Zeiten festgelegt, daß eine 
förmliche Verschwörung gegen Deutschland von seiten Frankreich-Englands 
— Rußland natürlich auch dabei — schon seit 1906, d. h. nach der Algeciras- 
konferenz und zur Zeit der Einkreisungspolitik Eduards VII. bestand und 
daß Belgien sich bereits damals zum Verbündeten dieser Verschwörung 
gemacht hatte. Daß sein König und seine Regierung damit den denkbar 
schwersten Neutralitätsbruch nicht nur gegen Deutschland, sondern auch 
gegenüber Oesterreich begingen, mußte beiden von vornherein klar sein, und 
nicht weniger, daß sie nicht bloß diesen beiden Staaten, sondern auch dem 
belgischen Volke gegenüber ein schwer zu qualifizierendes Spiel der Täu- 
schung trieben, da sie trotzdem nach außen den Schein der Neutralität aufrecht 
zu erhalten suchten. 
Man möchte vielleicht einwenden, daß sich das französisch-englisch- 
belgische Abkommen nur auf den Fall einer vorausgehenden Neutralitäts- 
verletzung Belgiens durch Deutschland könne bezogen haben. Dem wider- 
spricht aber schon der ganze Gehalt der Abmachung und völlig schlagend auch 
die Warnungen des belgischen Gesandten in Berlin, Baron Greindl, gegen 
dieselbe, die sonst sinnlos gewesen wären. 
Nun ist es geschichtlich erhärtete Tatsache geworden, daß nicht Deutsch- 
land die Neutralität Belgiens brach, sondern daß Belgiens leitende Instan- 
zen selber einen Verrat an dieser Neutralität begangen haben. Der deutsche 
Reichskanzler konnte daher in seiner Reichstagsrede am 3. August mit Fug# 
und Recht betreffs Belgiens sagen, „das Deutsche Reich befinde sich in Not- 
wehr“. In Berlin hatte man natürlich mehr oder weniger wortgetren 
Kenntnis von diesen vertraglichen Abmachungen, sonst wäre seine Diplo- 
matie keinen Groschen wert. Um so größer erscheint die Friedensliebe und 
der Friedenswille der beiden verbündeten Kaiser, wenn sie trotz dieser be- 
ständigen Bedrohung seit acht Jahren das Schwert in der Scheide behielten, 
selbst unter für ihre Reiche weit günstigeren Kriegsumständen als heute. 
... Unglückliches Belgien, unglückliches Land und unglückliches Volk, 
möchte man jetzt mit doppelter Teilnahme sagen. Es war bisher des felsen- 
festen Glaubens und mußte dies auch sein, in seinem entsetzlichen Unglück 
wenigstens ein gutes Recht an seiner Seite zu haben und für dieses sein Blut 
zu verspritzen, und dieser Glaube war sein Trost. Und nun dieses Erwachen, 
wobei es sich sagen muß, daß dieses gute Recht im Gegenteil auf deutscher 
Seite ist, daß Deutschland, nicht Belgien, sondern Belgien Deutschland hin- 
terrücks verraten hat und daß es selber dabei der elend Getäuschte zweier 
Könige war. Das ist noch bitterer als Sterben für ein Volk. 
Wer aber Zeuge davon sein mußte, wie französische und englische 
Staatsmänner zu Beginn des Krieges ganze Entrüstungssalven über den 
Völkerrechts= und Vertragsbruch Deutschlands an Belgien losließen, wie sie 
das sittliche Gewissen der ganzen zivilisierten Welt dagegen in die Schranken 
riefen, ihre eigenen Völker damit aufpeitschten und sich zu Rittern und 
Rettern der Rechte kleiner Staaten aufwarfen, und nun die nicht umzu- 
stoßenden Beweise vor sich sieht, daß sie diesen Entrüstungssturm und Ge- 
wissensappell im vollen Bewußtsein dessen verübten, daß ja gerade sie oder 
ihre Vorgänger an Belgien begangen hatten, wessen sie Deutschland beschul- 
digten und was zu Belgiens Verhängnis wurde — den erfaßt Ekel ob 
solcher Staatskunst. 
 
	        
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