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Schlechte Behandlung von Aerzten und Patienten im Londoner
Gefangenenlager.
Entgegen allen internationalen Vereinbarungen und den ihm ge—
machten Zusicherungen ist der Offenbacher Arzt Dr. Landmann noch vor
der Kriegserklärung Englands an Deutschland auf einem deutschen Schiff
verhaftet und schließlich in einem Londoner Konzentrationslager zwangs-
weise als Gefangenenarzt beschäftigt worden. Dr. Landmann schildert
seine Erlebnisse in dem amtlichen Organ des Leipziger Verbandes, den
„Aerztlichen Mitteilungen“ folgendermaßen:
„Ich geriet am 4. August morgens gegen 1 Uhr auf dem „Prinz
Adalbert“ in englische Gefangenschaft, also fast 24 Stunden vor der
Kriegserklärung. Der Dampfer durfte den damals noch „neutralen“
Hafen von Falmuth, den er als Nothafen angelaufen hatte, nicht mehr
verlassen, Passagiere und Besatzung durften nicht von Bord. Am 8. August
gab ich, zusammen mit der ganzen Besatzung, mein schriftliches Ehren-
wort, „keine gegen England gerichtete Handlung zu unternehmen oder zu
unterstützen.“ Am 11. August erhielt ich, als Arzt, die Erlaubnis, Eng-
land zu verlassen. Meiner Weisung gemäß fuhr ich nach London und
meldete mich am 12. August morgens um 9 Uhr auf der Polizeistation
L.-Paddington, um hier zu erfahren, mit welchem Dampfer ich fahren
könnte. Mit mir waren, außer zwei Passagieren, Herr Dr. Schäfer,
Schiffsarzt auf „Kronprinzessin Cäcilie"“. Die drei letztgenannten mußten
sich polizeilich registrieren lassen und durften sich im Umkreise von fünf
Meilen „frei“ bewegen. Mich selbst brachte man am Nachmittag um
5 Uhr nach der Olympia in L. als Kriegsgefangenen. Meinen wahr-
heitsgetreuen Angaben schenkte man aber keinen Glauben und
behauptete, ich sei Militärarzt. In der Olympia schliefen wir alle auf
Holzpritschen (am Anfang auf dem Steinboden) und bekamen zwei dünne
Gefängnisdecken. Die Verpflegung war absolut unzureichend: Tee, Mar-
garinebrot und Kartoffeln, manchmal stinkendes Fleisch. Nach der Reini-
gung, die fast trocken vorgenommen wurde, saßen wir stundenlang im
Staub. Infolge der genannten Maßnahmen erkrankten fast alle Gefan-
genen an Krankheiten des Magendarmkanals und der Luftwege. Die
ärztliche Behandlung der Kranken war unzureichend, wenn überhaupt
vorhanden. „Bessere“ Medikamente mußten von den Gefangenen bezahlt
werden! In dem Lazarett der Olympia war ein Bett! Es durfte aber
nicht belegt werden und die Kranken lagen ruhig weiter auf der Erde.
Ich sah täglich etwa zehn englische Nursen aus= und eingehen, aber nie,
daß sie etwas taten. Ich blieb drei Wochen in der Olympia und kam dann
nach dem Konzentrationslager Frith-Hill-Aldershot. Hier lagen immer
zwölf Gefangene in einem Zelt, dessen Durchmesser auf der Erde gemessen
etwa drei Meter betrug. Jeder bekam eine Decke. Die Zelte ließen den
Regen durch. Gesunde und Kranke lagen also oft auf dem nassen Fuß-
boden. Es gab weder Stühle noch Tische. Das Essen war fast ausreichend.
Nach wenigen Tagen nahmen Ungeziefer, Krätze, Brechdurchfall und
Rheumatismus überhand. Ich teilte mich mit dem englischen Arzt in die
Behandlung der Kranken und Verwundeten. In den ersten acht Tagen
standen mir keine Medikamente und nur sehr wenig Verbandsmaterial
zur Verfügung. Ich bat täglich vergebens um Betten und Decken für die
Schwerkranken. Manche von ihnen waren ungeheilt aus englischen Hospi-