Full text: der Weltkrieg 1914. Band 2. (1)

— 772 — 
Schlechte Behandlung von Aerzten und Patienten im Londoner 
Gefangenenlager. 
Entgegen allen internationalen Vereinbarungen und den ihm ge— 
machten Zusicherungen ist der Offenbacher Arzt Dr. Landmann noch vor 
der Kriegserklärung Englands an Deutschland auf einem deutschen Schiff 
verhaftet und schließlich in einem Londoner Konzentrationslager zwangs- 
weise als Gefangenenarzt beschäftigt worden. Dr. Landmann schildert 
seine Erlebnisse in dem amtlichen Organ des Leipziger Verbandes, den 
„Aerztlichen Mitteilungen“ folgendermaßen: 
„Ich geriet am 4. August morgens gegen 1 Uhr auf dem „Prinz 
Adalbert“ in englische Gefangenschaft, also fast 24 Stunden vor der 
Kriegserklärung. Der Dampfer durfte den damals noch „neutralen“ 
Hafen von Falmuth, den er als Nothafen angelaufen hatte, nicht mehr 
verlassen, Passagiere und Besatzung durften nicht von Bord. Am 8. August 
gab ich, zusammen mit der ganzen Besatzung, mein schriftliches Ehren- 
wort, „keine gegen England gerichtete Handlung zu unternehmen oder zu 
unterstützen.“ Am 11. August erhielt ich, als Arzt, die Erlaubnis, Eng- 
land zu verlassen. Meiner Weisung gemäß fuhr ich nach London und 
meldete mich am 12. August morgens um 9 Uhr auf der Polizeistation 
L.-Paddington, um hier zu erfahren, mit welchem Dampfer ich fahren 
könnte. Mit mir waren, außer zwei Passagieren, Herr Dr. Schäfer, 
Schiffsarzt auf „Kronprinzessin Cäcilie"“. Die drei letztgenannten mußten 
sich polizeilich registrieren lassen und durften sich im Umkreise von fünf 
Meilen „frei“ bewegen. Mich selbst brachte man am Nachmittag um 
5 Uhr nach der Olympia in L. als Kriegsgefangenen. Meinen wahr- 
heitsgetreuen Angaben schenkte man aber keinen Glauben und 
behauptete, ich sei Militärarzt. In der Olympia schliefen wir alle auf 
Holzpritschen (am Anfang auf dem Steinboden) und bekamen zwei dünne 
Gefängnisdecken. Die Verpflegung war absolut unzureichend: Tee, Mar- 
garinebrot und Kartoffeln, manchmal stinkendes Fleisch. Nach der Reini- 
gung, die fast trocken vorgenommen wurde, saßen wir stundenlang im 
Staub. Infolge der genannten Maßnahmen erkrankten fast alle Gefan- 
genen an Krankheiten des Magendarmkanals und der Luftwege. Die 
ärztliche Behandlung der Kranken war unzureichend, wenn überhaupt 
vorhanden. „Bessere“ Medikamente mußten von den Gefangenen bezahlt 
werden! In dem Lazarett der Olympia war ein Bett! Es durfte aber 
nicht belegt werden und die Kranken lagen ruhig weiter auf der Erde. 
Ich sah täglich etwa zehn englische Nursen aus= und eingehen, aber nie, 
daß sie etwas taten. Ich blieb drei Wochen in der Olympia und kam dann 
nach dem Konzentrationslager Frith-Hill-Aldershot. Hier lagen immer 
zwölf Gefangene in einem Zelt, dessen Durchmesser auf der Erde gemessen 
etwa drei Meter betrug. Jeder bekam eine Decke. Die Zelte ließen den 
Regen durch. Gesunde und Kranke lagen also oft auf dem nassen Fuß- 
boden. Es gab weder Stühle noch Tische. Das Essen war fast ausreichend. 
Nach wenigen Tagen nahmen Ungeziefer, Krätze, Brechdurchfall und 
Rheumatismus überhand. Ich teilte mich mit dem englischen Arzt in die 
Behandlung der Kranken und Verwundeten. In den ersten acht Tagen 
standen mir keine Medikamente und nur sehr wenig Verbandsmaterial 
zur Verfügung. Ich bat täglich vergebens um Betten und Decken für die 
Schwerkranken. Manche von ihnen waren ungeheilt aus englischen Hospi-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.