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Strafdrohung allein schon ein Strafgesetz. Das RG. verkenne dies zwar, und
darin liege sein Irrtum.:1) So einfach, wie Lobe die Dinge hinstellt, liegen
sie nun doch nicht. Ein einheitlicher Strafgesetzbegriff ist unserm Recht völlig
fremd. Nicht einmal innerhalb des Strafgesetzbuchs darf unterstellt werden,
daß dieser Begriff überall in ein und derselben genau umschriebenen Bedeutung
begegne. Um dies zu erkennen, genügt eine Vergleichung des § 2 Abs. 2
St G. mit dem § 73 St G. Ebenso ist es in der Strafprozeßordnung. Selbst
die fast unmittelbar nebeneinanderstehenden §§ 264, 266 St PO. gebrauchen
den Strafgesetzbegriff keineswegs in einer völlig übereinstimmenden Weise.
Was sollte danach rechtfertigen, für diesen Begriff da, wo er unabhängig vom
Gesetz in einer gelehrten Auseinandersetzung des höchsten Gerichtshofes be-
gegne, schlechthin eine unverrrückbar feststehende, aus allgemeinen An-
schauungen sich ergebende Bedeutung in Anspruch zu nehmen? Der Fall des
Blankettstrafgesetzes liegt auch durchaus nicht, wie Lobe meint,::) demjenigen
völlig gleich, wo die Strafdrohung an eine in demselben Gesetz enthaltene Norm
anknüpft. Denn die Norm, deren Annex sie in solchem Falle ist, steht unab-
änderlich fest, während die Norm, die erst von einer anderen Befehlsgewalt
gegeben werden soll, den mannigfachst wandelbaren Inhalt haben kann. Sie
kann auch unabhängig von der sie schützenden Strafdrohung bestehen, so daß
sie nicht einmal, wenn sie in Hinblick auf diese Strafdrohung erlassen ist, mit
deren Wegfall in allen Fällen auch ihre Existenz verlöre. 3) Schon deshalb
nicht, weil es sehr wohl vorkommen kann, daß dieselbe Norm bei ganz verschie-
denen Strafgesetzen heimatberechtigt ist.?s) Vom Standpunkt der Irrtums-
lehre des RG. war aber vor allem zu beachten, daß diese Lehre sich selbst ad
absurdum führen würde, wollte sie die blankettausfüllende Norm als Teil des
Strafgesetzes ansehen. Denn die vom R. vertretene Anschauung beruht doch
nun einmal — was ihr gerade ihre Gegner zum Vorwurf machen — auf einer
Doluspräsumtion, m. a. W. auf der Unterstellung, daß, weil die Pflichtgebote
21) Lobe a. a. O. S. 653.
22) a. a. O.
23) Mit Recht erklärt das Urteil des II. Senats vom 29. März 1913, Entsch.
Bd. 47 S. 110 auf S. 111: „Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz, nach dem
Rechtsvorschriften außer Kraft treten, sobald das Gesetz, auf Grund dessen sie zur
Entstehung gelangt sind, durch ein anderes Gesetz ersetzt wird.“
24) Ganz besonders für die Konkurrenzfrage kann das große praktische Be-
deutung gewinnen. Aber auch für die Anwendung des Grundsatzes ne bis
in idem. Es ließe sich durchaus der Fall denken, daß jemand auf Grund derselben
blankettausfüllenden Norm zweimal bestraft würde. Reichte die Zuständigkeit des
zuerst entscheidenden Gerichts nur zur Aburteilung auf Grund eines der in Be-
tracht kommenden Strafgesetze aus, wobei etwa an den Fall zu denken wäre, daß
dieses Gericht ein außerordentliches Kriegsgericht war (s. dazu §. 10 Bel .ust G.),
so wäre die Strafklage insoweit nicht verbraucht, als für sie ausschließlich die
ordentlichen Gerichte zuständig sind; s. dazu Urteil des IV. Senats vom 17. De-
zember 1915, Entsch. Bd. 49 S. 272 auf S. 274.