§ 68. Zoll= und Handelswesen im Deutschen Reich. 137
von Handel und Industrie in Deutschland beigetragen hat, so war
doch eine einheitliche, kräftige Wirtschaftspolitik dadurch ausgeschlossen,
daß es einmal zu jeder zollpolitischen Maßnahme der Übereinstimmung
aller Vereinsglieder bedurfte, und zum anderen war die Vereinigung
kündbar, so daß bei dem jedesmaligen Ablauf der zwölfjährigen Zeit-
dauer, für die die Vereinigung bestand, ihr Fortbestand in Frage
gestellt werden konnte. -
Diese Schranken fielen mit der Begründung des Deutschen Reichs.
III. Deutschland bildet ein Zoll= und Handelsgebiet, umgeben von
einer gemeinschaftlichen Zollgrenze (RV. Art. 33). Damit können alle
Gegenstände, welche im freien Verkehr eines Bundesstaats befindlich
sind, in jeden anderen Bundesstaat eingeführt und dürfen in letzterem
einer Abgabe nur in soweit unterworfen werden, als daselbst gleich-
artige inländische Erzeugnisse einer inneren Steuer unterliegen (RNV.
Art. 33 Abs. 2). Hiervon sind drei Ausnahmen zugelassen:
1. Einfuhrverbote, welche grundsätzlich ausgeschlossen, sind ausnahms-
weise zugelassen zwecks Verhütung der Verbreitung ansteckender Krank-
heiten (V8G. 8 2).
2. Eine innere Verbrauchssteuer kann von den Einzelstaaten erhoben
werden hinsichtlich gewisser inländischer Erzeugnisse, nämlich Malz, Bier,
Essig, Most, Mehl und anderer Mühlenfabrikate, Backwaren, Fleisch,
Fleischwaren, Fett. Werden diese Waren von auswärts eingeführt,
so können sie einer der inländischen Steuer gleichen Ubergangsabgabe
unterworfen werden (VZG. Art. 5 Abs. II 8 2 und § 3 Ziff. d).
3. Ausländische Erzeugnisse, welche bei Einfuhr bereits einem reichs-
gesetzlichen Zolle von 3 Mk. für 100 Kilogramm unterliegen, dürfen
mit keinen weiteren Abgaben belastet werden, es wären denn letztere
auf weitere Verarbeitung oder bei Getränken auf deren Umsatz gelegt
oder die eingeführten Waren Mehl, andere Mühlenerzeugnisse, Back-
waren, Fleisch, Fleischwaren oder Fett (Ges. v. 27. Mai 1885 § 1
und VBG. Art. 5 Abs. ).
Im übrigen sind schon nach dem Vereinszollgesetz vom 1. Juli 1869
(BEl. S. 317) alle Durchfuhr= und Ausgangszölle auf-
gehoben. Nur auf Lumpen und andere Abfälle zur Papierfabrikation
blieb noch ein Ausfuhrzoll, der aber auch seit 1873 aufgehoben worden
ist. Für die von fremden Ländern durch Deutschland nach dem Aus-
lande durchgehenden, sowie für die von Deutschland nach dem Auslande
ausgehenden Waren bestehen keine Zölle mehr. Dagegen werden Ein-
fuhrzölle in verschiedener Höhe von einer großen Reihe von Waren-
artikeln erhoben, welche in dem Zolltarif einzeln aufgeführt sind. Es
befinden sich darunter sowohl Genuß= und Nahrungsmittel (z. B.
Getreide, Kaffee, Thee, sowie alle Materialwaren), als auch Luxus-
gegenstände (Kurzwaren, Seidenwaren, Putzwaren, Pelze), ferner
industrielle Fabrikate und Halbfabrikate (z. B. Wollwaren, Baumwoll=
waren, Lederwaren und dergl. mehr).
Das Deutsche Reich ging anfänglich von einem gemäßigten Freihandel-
system aus, indem es die Eingangszölle bei vielen Artikeln herabsetzte
und teilweise ganz beseitigte (z. B. bezüglich des Eisens).