156 2. Buch. 2. Abschnitt. Verfassungsrecht des Deutschen Reiches.
Herabsetzung der Tarife erzielt, insbesondere bei größeren Entfernungen
für den Transport von Kohlen, Koks, Holz, Erzen, Steinen, Salz,
Roheisen, Düngungsmitteln und ähnlichen Gegenständen ein dem Be-
dürfnis der Landwirtschaft und Industrie entsprechender ermäßigter
Tarif und zwar zunächst tunlichst der Einpfennigtarif eingeführt werden.
Auf Grund dieser Bestimmung ist seit 1878 ein neues einheitliches
Tarifschema und eine neue Güterklassifikation aus den Beratungen
der Verwaltungen deutscher Staats= und Privatbahnen hervorgegangen,
deren weitere Vervollkommnung durch alljährlich stattfindende Tarif-
konferenzen unter Mitwirkung von Vertretern des Handels, der Land-
wirtschaft und der Industrie fortgesetzt erfolgt.
Bei eintretenden Notständen, insbesondere bei ungewöhnlicher Teuerung
der Lebensmittel, sind die Eisenbahnverwaltungen verpflichtet, für den
Transport, namentlich von Getreide, Mehl, Hülsenfrüchten und Kar-
toffeln, zeitweise einen dem Bedürfnis entsprechenden, von dem Kaiser
auf Vorschlag des betreffenden Bundesratsausschusses festzustellenden,
niedrigen Spezialtarif einzuführen, welcher jedoch nicht unter den
niedrigsten, auf der betreffenden Bahn für Rohprodukte geltenden Satz
herabgehen darf (Art. 46 RNV.).
Die vorstehend, sowie die in den Art. 42—45 getroffenen Be-
stimmungen sind auf Bayern nicht anwendbar.
„Im Interesse der Verteidigung Deutschlands und des allgemeinen
Verkehrs“, können kraft eines Reichsgesetzes auch gegen den Wider-
spruch der Bundesglieder, deren Gebiet die Eisenbahnen durchschneiden,
unbeschadet der Landeshoheitsrechte, Eisenbahnen für Rechnung des
Reichs angelegt oder an Privatunternehmer zur Ausführung konzessioniert
und mit dem Expropriationsrechte ausgestattet werden.
Jede bestehende Eisenbahnverwaltung ist verpflichtet, sich den An-
schluß neu angelegter Bahnen auf Kosten der letzteren gefallen zu
lassen (Art. 41 R).
Von vorstehenden Bestimmungen ist wiederholt Gebrauch gemacht
worden, so insbesondere bei der Anlegung von Doppelgleisen in Elsaß-
Lothringen, Bayern, Baden, Württemberg, ferner bei Herstellung einer
das schweizerische Gebiet umgehenden Eisenbahnverbindung zwischen
dem Oberelsaß und den süddeutschen Staaten. Die Bauten werden
von den Einzelstaaten resp. Privatbahnen ausgeführt, das Reich trägt
hierbei, ohne ein Eigentumsrecht zu erwerben und ohne Anspruch auf
Verzinsung und Rückzahlung, den größten Teil der Kosten.
Ganz besonders wichtig für die Stellung des Reichs im Eisenbahn-
wesen ist die Bestimmung des Art. 47 RV., wonach sämtliche Eisen-
bahnverwaltungen den Anforderungen der Behörden des Reichs in betreff
der Benutzung der Eisenbahnen zum Zwecke der Verteidigung Deutsch-
lands unweigerlich Folge zu leisten haben. Insbesondere ist das
Militär und alles Kriegsmaterial zu gleichen ermäßigten Sätzen zu
befördern.
Die im Kriegsfall eintretenden Verpflichtungen der Eisenbahnver-
waltungen sind durch RG. vom 13. Juni 1873 (RGBl. S. 129)
über die Kriegsleistungen einheitlich geregelt worden. Hiernach