§ 3. Die Entstehung des Staates und die Staatstheorien. 9
die Konstitution vom 3. September 1791) und bildet heute Gemeingut
auch der deutschen Verfassung.
Die Preuß. Verf.-Urkunde unterscheidet und erläutert in Art. 62:
„Gesetzgebende Gewalt“, Art. 86: „Richterliche Gewalt“, Art. 45: „Voll=
ziehende Gewalt“. 1)
Eine Veränderung ist jedoch an der alten Aristotelischen Trichotomie
sowohl in Frankreich (Serrigny) als auch in Deutschland (Dahlmann,
Bluntschli, Gerber, Lorenz v. Stein, E. Meyer u. a.) nach Vorgang
von Locke (two treatises of government II, 22 (1690) vorgenommen
worden, indem man an Stelle der Trichotomie eine Dichotomie gesetzt
hat. Danach gibt es nur zwei Funktionen der Staatsgewalt: eine
gesetzggebende (Puissance IEgislative) und eine vollziehende (Puissance
ex#écutive). Unter die vollziehende Gewalt fällt sowohl die Rechts-
pflege wie die Verwaltung. Beide führen das Gesetz aus.
d) Träger der Staatsgewalt. In Monarchien fungiert als Träger
der Staatsgewalt der Landesherr, so in Preußen. In Belgien ruht
die Staatsgewalt beim Volk (Verf.-Urk. vom 7. Februar 1831 Art. 25:
Tous les pouvoirs Cmanent de la nation), dieses ist auch der
Träger derselben.
In Republiken ist Träger bei aristokratischen Republiken die herrschende
Klasse, bei demokratischen das Volk selbst, (Frankreich, Schweiz,
amerikanische Republiken). In den Hansestädten ruht die Trägerschaft
bei Senat und Bürgerschaft.
83. Die Entstehung des Staates und die Staatstheorien.
Über den Entstehungs= und Rechtfertigungsgrund des Staates sind
die mannigfachsten Theorien aufgestellt worden. Man kann sie in
zwei Gruppen zerlegen: historische und rationelle Theorien, je nachdem
sie auf geschichtlichen Tatsachen oder auf Vernunftgründen fußen.
A. Die historischen Staatstheorien.
1. Naturhistorische Theorie. Sie geht auf Aristoteles (geb. 334
v. Chr. zu Stagira in Macedonien, Schüler Platos, Begründer der
peripatetischen Schule, aus Athen wegen atheistischer Lehren verbannt
und in Chalcis auf Euböa 322 verstorben) zurück. Er findet den
Grund der Entstehung des Staates in dem Geselligkeitstrieb der
Menschen (&vo###og O#### ##bop Fvolrtôp). Diesen erkennt auch
Hugo Grotius an, führt ihn aber weniger auf Instinkt, als auf natür-
liches Wohlwollen zurück. . -
1) Mit Recht betont Hübler, die Organisation der Verwaltung. Berlin 1898,
§ 2 S. 7, daß die Teilung nirgends streng durchgeführt ist. Die mit den Gesetzen
hauptsächlich befaßte Volksvertretung ist auch an den Geschäften der vollziehenden
Gewalt beteiligt (Finanzverwaltung). Den Gerichten liegt außer der Rechtspflege
auch Verwaltungstätigkeit (freiwillige Gerichtsbarkeit) ob. Ebenso werden von den
Organen der vollziehenden Gewalt Rechtsnormen aufgestellt (Rechtsverordnungen)
und aufgestellte Rechtsnormen gegen Verletzungen gerichtlich geschützt (Verwaltungs-
gerichtsbarkeit).