Full text: Die Verfassung und Verwaltung im Deutschen Reiche und Preußen. Erster Band. Deutsches Reich. (1)

§ 82. IX. Gewerbliche Hülfskassen. § 83. X. Gewerbegerichte. 269 
Lohn= und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittelst Einstellung der 
Arbeit (Strike) find durch die Reichsgewerbeordnung aufgehoben. 
Jedem Teilnehmer steht der Rücktritt von solchen Vereinigungen und 
Verabredungen frei, und es findet aus letzteren weder Klage noch 
Einrede statt. Wer andere durch Anwendung körperlichen Zwanges, 
durch Drohungen, durch Ehrverletzung oder durch Verrufserklärung 
bestimmt oder zu bestimmen versucht, an solchen Verabredungen teil- 
zunehmen oder ihnen Folge zu leisten, oder andere durch gleiche 
Mittel hindert oder zu hindern versucht, von solchen Verabredungen 
zurückzutreten, wird, sofern nach dem allgemeinen Strafgesetz nicht 
eine härtere Strafe eintritt, mit Gefängnis bis zu drei Monaten 
bestraft. — Für Gesinde, Schiffsknechte, Dienstleute und ländliche 
Arbeiter, insbesondere solche Handarbeiter, welche sich zu bestimmten 
land= und forstwirtschaftlichen Arbeiten, wie z. B. Erntearbeiten auf 
Acker oder Wiese, Meliorationsarbeiten, Holzschlagen usw. verdungen 
haben, besteht eine derartige Koalitionsfreiheit nicht. Suchen Personen, 
welche in solchen Arbeitsverhältnissen stehen, die Arbeitgeber oder die 
Obrigkeit zu gewissen Handlungen oder Zugeständnissen dadurch zu 
bestimmen, daß sie die Einstellung der Arbeit oder die Verhinderung 
derselben bei einzelnen oder mehreren Arbeitgebern verabreden, oder 
fordern sie zu einer solchen Verabredung andere auf, so haben sie 
Gefängnisstrafe bis zu einem Jahre verwirkt. Eine strafbare Auf- 
forderung ist nach dem Gesetz nur die Aufforderung zur Verabredung, 
nicht aber die Aufforderung zur Arbeitseinstellung selbst. Johow, 
Jahrb. Bd. 17 S. 454. 
  
8 83. X. Gewerbegerichte. 
Für die aus dem gewerblichen Arbeitsverhältnis entspringenden 
Streitigkeiten sind als Sondergerichte (§ 14 Nr. 4 GVG.) die Ge- 
werbegerichte zugelassen. Die reichsgesetzliche Regelung der Errichtung, 
der Zuständigkeit und des Verfahrens dieser Gerichte ist erfolgt durch 
Reichsgesetz vom 29. Juli 1890 (RGBl. S. 141), abgeändert durch 
das Reichsgesetz vom 30. Juni 1901 (Rl. S. 249) und in der 
neuen Fassung am 29. September 1901 (REBl. S. 353) bekannt 
gemacht als „Gewerbegerichtsgesetz". 
Die Hauptgrundzüge dieses Gesetzes sind folgende: 
A. Errichtung. Der erste, von der Errichtung und Zu- 
sammensetzung der Gewerbegerichte handelnde Abschnitt (88 1 
bis 25) überläßt die Entschließung über die Errichtung eines Gewerbe- 
gerichts in erster Linie den Gemeinden, jedoch mit der Maßgabe, daß 
in Gemeinden mit mehr als 20 000 Einwohnern ein Gewerbegericht 
errichtet werden muß. Mehrere Gemeinden können gemeinsam ein 
Gewerbegericht errichten, auch kann ein weiterer Kommunalverband 
für seinen Bezirk die Errichtung eines Schiedsgerichts beschließen. 
Durch Anordnung der Landeszentralbehörde kann auf Antrag beteiligter 
Arbeitgeber oder Arbeiter die Errichtung erfolgen, wenn, ungeachtet 
einer von ihr an die beteiligten Gemeinden oder den weiteren Kom-
	        
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