§ 85. Krankenversicherung. 277
eine Annahme derselben und damit ein Vertragsschluß selbst noch not-
wendig, wenn auch auf seiten des Versicherungsgebers gesetzlich ein
Kontrahierungszwang besteht.
Wie der Begründungsakt der Arbeiterversicherung verschieden ge-
staltet ist, je nach der Art der in Betracht kommenden Personen, so
ist es auch der Inhalt des Versicherungsvertrages. Die dem privaten
Versicherungsrecht eigentümliche synallagmatische Beziehung zwischen
Leistung und Gegenleistung seitens des Versicherungsnehmers und
-gebers ist bei der Arbeiterversicherung erheblich gelockert, wenn auch
keineswegs aufgehoben, denn es kommt in vielen Fällen z. B. bei der
Unfallversicherung in Reichs-, Staats= und Kommunalbetrieben über-
haupt nicht auf etwaige Leistungen des Versicherungsnehmers an,
sondern entscheidend ist allein, ob die Verpflichtung des Versicherungs-
unternehmers begründet ist.
Siebenter Titel.
8 85. Krankenversicherung.
A. Geschichtliches (Hülfskassenwesen).
Die ersten Anfänge einer Fürsorge für erkrankte und verunglückte
gewerbliche Arbeiter treten in den sog. Gesellenladen hervor. Es sind
dies im Anschlusse an die Zünfte gebildete Kassen, aus deren Mitteln
kranke oder sonst verunglückte Gesellen des Gewerbes verpflegt und
unterstützt wurden. Die Kosten wurden durch Beiträge der Gesellen
aufgebracht, die Verwaltung stand einem Altgesellen zu (vgl. Bornhak,
Die deutsche Sozialgesetzgebung. 1894. (3. Aufl.) S. 16). Die
im preuß. ALR. (II, 8 §88 353, 399, 400) enthaltenen Bestimmungen
über die Verpflegung kranker Gesellen seitens der Zünfte wurden ersetzt
durch die §8§ 144, 145, 169 der preuß. Gewerbeordnung vom
17. Januar 1845 (GS. S. 41), welche den Gesellen und Gehülfen
einschließlich der Fabrikarbeiter die Beibehaltung der bestehenden Kassen
zu gegenseitiger Unterstützung gestattete, gleichzeitig aber anordnete,
daß die Aufnahme in dieselben nicht von der Beschäftigung bei einem
Innungsmitglied abhängig gemacht werden dürfte. Die Neubildung
solcher Kassen wurde mit Genehmigung der Regierung zugelassen,
wobei den Gemeinden die Befugnis zugesprochen wurde, alle am Orte
beschäftigten Gesellen und Gehülfen durch Ortsstatut zum Beitritt zur
Kasse zu verpflichten. Noch weiter ging die Verordnung betreffend
die Errichtung von Gewerberäten und verschiedene Ab-
änderungen der allgemeinen Gewerbeordnung vom 9. Februar 1848
(GS. S. 39.) Nach dieser (§§ 56 ff.) konnte durch Ortsstatut ein
Zwang für die selbständigen Gewerbetreibenden und Fabrikarbeiter
zum Eintritt in die Kassen eingeführt werden. Es konnte auch den
Fabrikbesitzern die Verpflichtung auferlegt werden, Beiträge an die
Kassen unter Teilnahme an der Verwaltung zu leisten. Eine Erweiterung
des Beitrittszwanges auf die Lohn beziehenden Lehrlinge und damit
die zwangsweise Heranziehung aller beitrittspflichtigen Personen zur
Gründung neuer Kassen wurde für Preußen durch das Gesetz, betr.