278 2. Buch. 2. Abschnitt. Verfassungsrecht des Deutschen Reiches.
die gewerblichen Unterstützungskassen, vom 3. April 1854 (GS. S. 138)
eingeführt. Durch dieses Gesetz wurde auch den Regierungen das Recht
verliehen, in Ermanglung ausreichender ortsstatutarischer Bestimmungen
selbst die Errichtung von Kassen mit Beitrittszwang anzuordnen.
Die Reichsgewerbeordnung enthielt im § 141 in seiner ursprünglichen
Fassung nur die Anerkennung des in den Bundesstaaten bestehenden
Rechtszustandes, jedoch wurde der Beitrittszwang für alle selbständigen
Gewerbetreibenden mit Ausnahme der Fabrikanten aufgehoben, für Ge-
sellen, Gehülfen und Fabrikarbeiter insofern aufrecht erhalten, als sie
dann einer Zwangskasse beitreten mußten, wenn sie einer anderen
Kasse nicht angehörten.
Außer diesen in der GO. enthaltenen Bestimmungen war das
Hülfskassenwesen einheitlich reichsgesetzlich geregelt durch das Gesetz
betr. die eingeschriebenen Hülfskassen vom 7. April 1876
(REl. S. 125). Dieses Gesetz regelte die Verhältnisse der ein-
geschriebenen Hülfskassen, soweit sie Unterstützung in Krankheitsfällen
gewähren. Es waren dies privatrechtliche Korporationen, da sie
auf freier Vereinbarung ihrer Mitglieder ohne Beitrittszwang beruhten.
Diese rein privatrechtliche Grundlage wurde jedoch durchbrochen durch
die gleichzeitig mit dem Hülfskassengesetz erlassene Novelle zur GO.
betr. die Abänderung des Titels VIII derselben (88 141 bis
141 .) Danach sollte von Gemeinde wegen durch Ortsstatut die Bildung
solcher Hülfskassen gemäß dem Ges. vom 7. April 1876 unter Beitritts-
zwang angeordnet werden können. Ferner konnte durch Ortsstatut
bestimmt werden, daß Arbeitgeber ihren Arbeitern die Beiträge bis zur
Hälfte des verdienten Lohnes vorschießen, Fabrikinhaber Zuschüsse bis
auf die Höhe der Hälfte der Beiträge leisten und die Arbeitgeber ihre
Arbeiter zur Kasse anmelden sollten.
Tretz dieses durch Ortsstatut eingeführten Versicherungszwanges
waren zahlreiche Arbeiter bei keiner Kasse, da die Gemeinden von den
ihnen beigelegten Befugnissen keinen ausreichenden Gebrauch machten.
Um diesen Übelständen abzuhelfen, schuf das Kran kenversicherungs-
gesetz vom 15. Juni 1883 (RGBl. S. 73) in der durch die Novelle
vom 10. April 1892 (Röl. S. 417) herbeigeführten Fassung für
weitere als rein gewerbliche Arbeiter die Verpflichtung zum Beitritt
zu Krankenkassen, über deren Organisation nähere Bestimmungen getroffen
wurden. Durch dieses Gesetz wurde daher ein allgemeiner Kassenzwang,
keine Zwangskassen eingeführt. Nur diejenigen Personen sind den neuen
Kasseneinrichtungen des Gesetzes nicht unterworfen, welche einer ein-
geschriebenen Hülfskasse oder einer anderen landesgesetzlich bestehenden
Kasse angehören, sofern diese ihren Mitgliedern die durch das KVG.
festgestellten Mindestleistungen gewährleisten. Durch diese Bestimmungen
war der Wirkungskreis der eingeschriebenen Hülfskassen im Sinne des
Ges. vom 7. April 1876 derartig eingeschränkt, daß seine Bestimmungen
nur auf Kassen, welche auf freier Ubereinkunft beruhen, Anwendung
zu finden und sie in den Fällen noch Bedeutung haben, wo in Krank-
heitsfällen eine Unterstützung ihrer Mitglieder über das gesetzliche Maß
hinaus gewährleistet wird.