324 2. Buch. 2. Abschnitt. Verfassungsrecht des Deutschen Reiches.
heute in England) und das System der allgemeinen Wehr-
pflicht. Bei ersterem wird im Vertragswege teils im Inlande teils
im Auslande ein geeignetes Söldnerheer angeworben, während bei
der allgemeinen Wehrpflicht eine allgemeine, unentgeltliche, aus der
Reichs= und Staatsangehörigkeit resultierende Untertanenpflicht zum
Heeresdienst verpflichtet.
Soll die Ausbildung zum Heeresdienst in denkbar kürzester Zeit
bewirkt werden, so spricht man von Milizsystem. Wird dagegen
mehr auf die kriegerische Tüchtigkeit und damit auf die Dauer der
Ausbildung Gewicht gelegt, so nennt man dies Rekrutierungs-
system. Bei letzterem System tritt die Persönlichkeit des einzelnen
in den Hintergrund, es kommt nur auf die soldatische Brauchbar-
keit und Tüchtigkeit an. Deshalb ist hier auch Stellvertretung zulässig.
Die deutsche Heeresverfassung sucht die verschiedenen Systeme zu
kombinieren. Auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht unter
Ausschluß jeder Stellvertretung wird bei dieser eine möglichst hohe
Mannschaftsziffer und gediegene militärische Ausbildung zu erreichen gesucht.
Die Heeresverfassung des Deutschen Reiches beruht auf derjenigen
Preußens.
Während in Preußen noch unter dem Könige Friedrich Wilhelm I.
ein gemischtes System von Werbung und Gestellung bestand, die sogen.
Kantonverfassung (heshalb so genannt, weil jedes Regiment einen
bestimmten Kanton (Bezirk) für seine Ausbildung hatte), wurde seit
Scharnhorst die allgemeine Wehrpflicht die Grundlage der
preußischen Heeresverfassung. Ursprünglich wurden alle 3 Monate
eine Anzahl Rekruten eingezogen, ausgebildet, nach der Ausbildung
Fusen und demnächst durch neue ersetzt (das sogen. Krümper-
yste m).
Die gesetzliche Regelung der allgemeinen Wehrpflicht als Untertanen-
pflicht erfolgte am 3. September 1814.
Eine vollständige Reorganisation der preußischen Armee wurde auf
Veranlassung des damaligen Prinzregenten Wilhelm, des nachmaligen
Kaisers Wilhelm I. durch den Kriegsminister von Roon durchgeführt.
Mit der Schaffung des Norddeutschen Bundes im Jahre 1866
wurde die gesamte Kriegsmacht des Bundes zu einem einheitlichen
Heere nach preußischem Muster zusammengefaßt. Auch die süddeutschen
Staaten nahmen die allgemeine Wehrpflicht an und organisierten ihre
Heereseinrichtungen nach preußischem Vorbilde.
Mit der Gründung des Deutschen Reichs wurde die norddeutsche
Heeresverfassung auch auf die Länder südlich des Mains ausgedehnt.
Gewisse Sonderrechte sind allerdings für einige süddeutsche Staaten
erhalten geblieben.
Gleichmäßiger hat sich die Ausgestaltung der deutschen Kriegsmarine
vollzogen. Eine solche besaß nur Preußen allein; sie ging auf den
Norddeutschen Bund und schließlich auf das Deutsche Reich über.
Sie ist durchaus einheitlich, steht unter dem Oberbefehl des Kaisers,
der über Organisation und Zusammensetzung derselben Bestimmung
zu treffen hat.