Full text: Die Verfassung und Verwaltung im Deutschen Reiche und Preußen. Erster Band. Deutsches Reich. (1)

§ 32. Elsaß-Lothringen. 61 
ist ausschließlich ins eigne Land, nach Straßburg, verlegt. Sie wird 
geführt von dem kaiserlichen Statthalter, dem Landesministerium unter 
Zuziehung des Staatsrates und des Landesausschusses. 
A. Der kaiserliche Statthalter. 
à) Landesherrliche Befugnisse. Er ist Stellvertreter des Kaisers 
für einzelne, durch Kaiserl. Verordn. v. 5. Nov. 1894 näher bezeichnete 
„landesherrliche Rechte.“ (Erlaß von Verordnungen, Ernennung von 
Beamten, Begnadigungsrecht). Diese Übertragung ist hochpersönlich, 
jederzeit revokabel. Die parlamentarische Verantwortlichkeit trägt der 
gegenzeichnende Staatssekretär des Landesministeriums. In dieser 
Stellung hat der Statthalter einen Minister. 
Durch den sogenannten „Diktaturparagraphen“ (8§ 10 des 
Ges. vom 30. Dezember 1871, § 2 des Ges. vom 4. Juli 1879) ist die 
vizekaiserliche Stellung des Statthalters noch gesteigert. „Bei Gefahr 
für die öffentliche Sicherheit ist der Statthalter ermächtigt, ulle Maß- 
regeln zu treffen, welche er zur Abwendung der Gefahr für erforderlich 
erachtet. Er ist insbesondere befugt, innerhalb des der Gefahr aus- 
gesetzten Bezirks diejenigen Gewalten auszuüben, welche der § 9 des 
Ges. vom 9. August 1849 (Bullet d. lois Ser. 10 Nr. 1511) der Militär- 
behörde für den Fall des Belagerungszustandes zuweist.“ (5 10 des 
Ges. vom 30. Dezember 1871). Der genannte § 9 lautet: „Die 
Militärbehörde hat das Recht, 1. Haussuchungen bei Tag und bei 
Nacht vorzunehmen; 2. Personen, welche schon gerichtlich bestraft sind 
oder ihren Wohnsitz nicht in den vom Belagerungsstand betroffenen 
Orten haben, zu entfernen; 3. die Ablieferung von Waffen und Schieß- 
bedarf anzubefehlen und die Aufsuchung und Wegnahme vorzunehmen; 
4. Veröffentlichungen und Versammlungen zu verbieten, welche nach 
ihrem Ermessen geeignet sind, Unordnung hervorzurufen und zu 
unterhalten“. 
Die durch § 2 des Ges. betreffend die Verfassung und die Ver- 
waltung Elsaß-Lothringens, vom 4. Juli 1879 (RGl. S. 165) in 
Verbindung mit 8 12 Abs. 1 des Ges. f. Elsaß-Lothringen, betr. die 
Einrichtung der Verwaltung vom 30. Dezember 1871 (Gl. f. Elsaß= 
Lothringen 1872 S. 49) dem Statthalter in Elsaß-Lothringen über- 
tragenen außerordentlichen Gewalten sind durch RGes., betr. die Auf- 
hebung der außerordentlichen Gewalten des Statthalters in Elsaß- 
Lothringen, vom 18. Juni 1902 (Röl. S. 231) aufgehoben. 
b) Ministerstellung. Ihm stehen die Ministerialbefugnisse zu, die 
bis 1877 dem Reichskanzler für die Reichslande zugestanden haben. 
Der Reichskanzler selbst ist aus dem Verwaltungsorganismus des 
Reichslandes ganz ausgeschieden. 
Als eigentlicher Minister für Elsaß-Lothringen leistet er die Kontra- 
signatur bei unmittelbaren Kaiserl. „Anordnungen oder Verfügungen“ 
und ist sowohl dem Kaiser, wie dem Reichstage verantwortlich. 
Der Statthalter wird vom Kaiser ernannt und abberufen. 
B. Das Landesministerium. 
Es bildet die Zentralbehörde für diejenigen Angelegenheiten, welche 
bis 1877 teils dem Reichskanzler teils dem Oberpräsidenten zugestanden
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.