64 2. Buch. 2. Abschnitt. Verfassungsrecht des Deutschen Reiches.
Unter den Einwohnern der Schutzgebiete find bezüglich ihrer recht-
lichen Stellung zu unterscheiden:
a) Die Reichsangehörigen, welche ihre Reichsangehörigkeit in
Deutschland erworben haben. Ausnahmsweise können jedoch Ausländer,
welche sich im Schutzgebiete niederlassen, sowie Eingeborene vom Reichs-
kanzler durch Naturalisation die Reichsangehörigkeit verliehen erhalten.
b) Die Schutzgenossen, d. h. Angehörige anderer zivilisierter
Staaten. Sie sind ebenso wie die Reichsangehörigen selbst der deutschen
Schutzgebietsgerichtsbarkeit unterworfen (Ges. vom 10. Sept. 1900).
0) Die Eingeborenen. Die Staatshoheit und Gerichtsbarkeit
üben diesen gegenüber die Häuplinge aus. Nur wo es durch besondere
Kaiserl. Verordnung bestimmt ist, unterstehen sie der deutschen Schutz-
gebietsgerichtsbarkeit.
Die Verwaltung ist in folgender Weise eingerichtet:
An der Spitze jedes Schutzgebietes steht ein Kaiserl. Kommissar
(Gouverneur, auch Landeshauptmann genannt).
Die Gerichtsbarkeit, welche sich gewöhnlich nicht auf die Ein-
geborenen erstreckt, wird im Rahmen der Konsulargerichtsbarkeit (Ges.
vom 7. April 1900) ausgeübt. Es tritt an die Stelle des Konsuls
ein vom Reichskanzler bestellter Richter, der bei schwereren Delikten Bei-
sitzer erhält. Als zweite Instanz fungiert das kaiserliche Obergericht,
welche in der Besetzung von 5 Richtern am Sitze des Kommissars tagt.
Bezüglich des in den Schutzgebieten anzuwendenden
Rechts bestimmt § 3 des Ges. vom 10. Sept. 1900 in Verbindung
mit § 19 des Konsulargerichtsbarkeitsges. vom 7. April 1900, daß die
dem bürgerlichen Rechte angehörenden Vorschriften der Reichsgesetze
und der daneben innerhalb Preußens im bisherigen Geltungsbereiche
des preuß. Allgemeinen Landrechts in Kraft stehenden allgemeinen
Gesetze sowie die Vorschriften der Gesetze über das Verfahren (GVG.
ZP.) und die Kosten in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in Konkurs-
sachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit,
sowie die dem Strafrecht angehörenden Vorschriften der Reichsgesetze
und die Vorschriften dieser Gesetze über das Verfahren und die Kosten
in Strafsachen Anwendung finden sollen.
Die Militärverwaltung der Schutzgebiete ist dem Kaiser
und nach diesem dem Reichskanzler unterstellt, welchem das Ober-
kommando zukommt. Zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung
und Sicherheit in den afrikanischen Schutzgebieten, insbesondere zur
Bekämpfung des Sklavenhandels ist gemäß Art. 1 des Reichsges. vom
7. Juli 1896 (ReGBl. S. 187) eine Schutztruppe gebildet, deren
oberster Kriegsherr der Kaiser ist. Bei der Schutztruppe in Südwest-
afrika können Reichsangehörige ihrer Dienstpflicht genügen.
Die Schutzgebiete haben ihre besonderen Etats, zu deren Fest-
stellung ein Reichsgesetz erforderlich ist. Eines solchen Gesetzes bedarf
es auch zur Aufnahme von Anleihen und Übernahme von Garantien.
Für die Schulden des Schutzgebietes haftet nur dieses, nicht das
Reich. Daraus hat man eine selbständige juristische Persönlichkeit der
Schutzgebiete hergeleitet.