70 2. Buch. 2. Abschnitt. Verfassungsrecht des Deutschen Reiches.
Reichsangehörigen zusteht; bezüglich des einzelnen Bundesstaates nur
den Angehörigen dieses. Also darf nur der Preuße zum preußischen
Abgeordnetenhause wählen, nicht der Sachse.
4. Anspruch auf gleichmäßigen Genuß der bürgerlichen
und staatsbürgerlichen Rechte ohne Rücksicht auf das religiöse
Bekenntnis.
Dieser Grundsatz ist bereits ausgesprochen in dem RGes. vom
3. Juli 1869 (BEl. S. 292), wo bestimmt wird: „Alle noch be-
stehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses her-
geleiteten Beschränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte
werden hierdurch aufgehoben. Insbesondere soll die Befähigung zur
Teilnahme an der Gemeinde= und Landesvertretung und zur Bekleidung
öffentlicher Amter vom religiösen Bekenntnis unabhängig sein“.)
5. Anspruch auf Freizügigkeit und Gewerbefreiheit.
Bei der Wichtigkeit dieser Grundrechte, welche eine eingehende gesetz-
liche Regelung gefunden haben, bedürfen diese Rechte einer besonderen
und selbständigen Darstellung, die nachstehend gegeben wird.
6. Anspruch auf öffentliche Unterstützung im Falle der
Hilfsbedürftigkeit. Auch dies Grundrecht hat eine umfassende
aesu hervorgerufen, welcher ein besonderer Abschnitt gewidmet
werden soll.
§ 37. Die Freizügigkeit im Deutschen Reich.)
Die Freizügigkeit ist gesetzlich geregelt durch das Reichsgesetz
über die Freizügigkeit vom 1. November 1867 (B l. S. 55),
welches im § 1 bestimmt:
Jäde Bundesangehörige hat das Recht, innerhalb des Bundes-
gebietes:
a) an jedem Orte sich aufzuhalten oder niederzulassen, wo er eine
eigene Wohnung oder ein Unterkommen sich zu verschaffen imstande ist;
b) an jedem Orte Grundeigentum aller Art zu erwerben;
c) umherziehend oder an dem Orte des Aufenthalts bezw. der
Niederlassung Gewerbe aller Art zu betreiben unter den für Einheimische
geltenden gesetzlichen Bestimmungen.
In der Ausübung dieser Befugnisse darf der Bundesangehörige,
soweit nicht das Reichsgesetz selbst Ausnahmen zuläßt, weder durch die
Obrigkeit seiner Heimat, noch durch die Obrigkeit des Orts, in welchem
er sich aufhalten oder niederlassen will, gehindert oder durch lästige
Bedingungen beschränkt werden.
Keinem Bundesangehörigen darf um des Glaubensbekenntnisses willen
oder wegen fehlender Landes= oder Gemeindeangehörigkeit der Auf-
enthalt, die Niederlassung, der Gewerbebetrieb oder der Erwerb von
Grundeigentum verweigert werden.
1) Die oben ausgesprochene Gleichberechtigung aller Konfessionen bezieht sich nur auf
die Mitglieder derselben, nicht auf die Religionsgesellschaften als solche. Bei den
Religionsgesellschaften besteht weiter der Unterschied zwischen den öffentlichrechtlichen
und minderberechtigten Privatreligionsgesellschaften.
:) Literatur: Arnoldt, Die Freizügigkeit und der Unterstützungswohnsitz. Berlin
1873; v. Brauchitsch, Die neuen preuß. Verwaltungsges. Bd. 3 (16. Aufl.) S. 589ff.