72 2. Buch. 2. Abschnitt. Verfassungsrecht des Deutschen Reiches.
Beschlusses zu ersuchen. Im Falle der Ablehnung des Ersuchens steht
dem Magistrate die Beschwerde an die der Polizeibehörde vorgesetzte
Dienstbehörde zu (MR. vom 29. Aug. 1891 MBl. S. 170).
Auf das Freizügigkeitsprinzip sind auch zurückzuführen die Reichs-
gesetze über die Aufhebung der polizeilichen Beschränkung
der Eheschließung vom 4. Mai 1868 (BGl. S. 149) und über
die Beseitigung der Doppelbesteuerung vom 13. Mai 1870
(Bl. S. 119).
8 38. Answanderungswesen.
Mit der Freizügigkeit steht in Zusammenhang die Auswanderungs-
freiheit. Diese ist jetzt besonders geregelt durch das RGes. über
das Auswanderungswesen vom 9. Juni 1897 (RGBl. S. 463).1)
In diesem Gesetz wird grundsätzlich das Recht jedes Reichsangehörigen,
das Reich zum Zwecke der Niederlassung im Auslande zu verlassen,
anerkannt. Im Interesse einer nationalen Auswanderungspolitik sind
gewisse gesetzliche Vorschriften und Beschränkungen getroffen.
Verboten ist die Auswanderung:
a) Wehrpflichtigen vom 17.—25. Lebensjahre, bevor sie eine Ent-
lassungsurkunde (§ 14 des RGes. vom 1. Juni 1870) oder ein Zeugnis
der Ersatzkommission darüber beigebracht haben, daß ihrer Auswanderung
aus dem Grunde der Wehrpflicht kein Hindernis entgegensteht;
b) Personen, deren Verhaftung oder Festnahme von einer Gerichts-
polizeibehörde angeordnet ist;
) Reichsangehörigen, für welche von fremden Regierungen oder
Kolonisationsgesellschaften oder ähnlichen Unternehmungen der Be-
förderungspreis ganz oder teilweise bezahlt wird, oder Vorschüsse
geleistet werden (8 23 des Ges.).
Sodann bezwecken die gesetzlichen Bestimmungen vor allem, die
Auswanderer gegen betrügerische Ausbeutung zu schützen. Hierzu
dienen sowohl polizeiliche als auch politische Mittel. In ersterer
Hinsicht unterliegt das Gewerbe der Auswanderungsunternehmer und
Agenten behördlicher Aufsicht, Kontrolle und Reglementierung, in
letzterer Hinsicht wird Sorge für eine zuverlässige Auskunftserteilung
an die Auswanderer und für Förderung am Niederlassungsorte getroffen.
Im einzelnen ist noch hervorzuheben:
Wer die Beförderung von Auswanderern nach außerdeutschen Ländern
betreiben (Unternehmen) und bei diesem Betriebe mitwirken (Agenten)
will, bedarf der Erlaubnis des Reichskanzlers mit Zustimmung des
Bundesrats, bezw. der höheren Verwaltungsbehörde.
Diese Erlaubnis darf nur erteilt werden an Reichsangehörige, aus-
nahmsweise an ausländische Unternehmer, sofern sie einen im Reichsgebiete
wohnhaften Reichsangehörigen zu ihrem Bevollmächtigten bestellen (8 4).
Vor Erteilung der Erlaubnis hat der Nachsuchende eine Sicherheit
von 50000 M. zu bestellen (8 5).
1) Kommentare v. Götsch 1898 und Stoerk 1899; v. Brauchitsch, Die neuen
preuß. Verwaltungsges. Bd. 5 (7. Aufl.) S. 919 ff.