Full text: Die Verfassung und Verwaltung im Deutschen Reiche und Preußen. Zweiter Band. Preußen. (2)

116 5. Buch. Der Rechtsschutz auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts. 
1. Der Rechtsschutz auf dem Gebiete des öffentlichen 
Rechts. Verwaltungsgerichtsbarkeit. Entwicklung.u) 
Ein Rechtsschutz auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts war schon 
eine der Forderungen des Revolutionsjahres 1848. Besonders Bähr 
war einer der Verfechter dieses Gedankens, der allerdings diesen Schutz 
den ordentlichen Gerichten übertragen wollte und von einem „Justiz- 
staat" träumte. Jedoch nicht auf diesem Wege sollte die Verwirk- 
lichung dieser nicht mehr von der Tagesordnung verschwindenden 
Forderung erreicht werden, sondern erst der schöpferischen Idee eines 
Rudolf v. Gneist, der nach englischem Vorbilde das Problem der Ver- 
waltungsrechtspflege durch die Reform der Verwaltung selbst zu lösen 
vorschlug, war es vorbehalten, Preußen zu besonderen Verwaltungs- 
gerichten im Rahmen der Verwaltungsorganisation zu verhelfen. Be- 
stimmend für die Einführung dieser besonderen, in sich abgeschlossenen, 
stufenweise aufsteigenden Verwaltungsgerichtsbarkeit war die Erwägung, 
daß die Jurisdiktion in Verwaltungssachen losgelöst von rein-logischer, 
rechtswissenschaftlicher Fachbildung, besondere Vorbildung, tiefgründige 
Sachkenntnis, den starren Rechtssätzen fremde Billigkeits= und Zweck- 
mäßigkeitserwägungen zur Voraussetzung haben muß. Es hieße der 
sorgsam wägenden Verwaltung und ihren Organen nicht gerecht werden, 
wenn man die Rechtskontrolle ihrer Entschlüsse und Erwägungen den 
der Verwaltung selbst fremden Organen übertragen hätte. Die Ein- 
führung der Verwaltungsrechtspflege vollzog sich in Preußen durch die 
Reformgesetzgebung von 1872—1883. 
2. Grenzen zwischen Justiz= und Verwaltungsrechtssache. 
Sowohl bei der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit, als auch bei 
der Verwaltungsgerichtsbarkeit handelt es sich um die Verletzung einer 
Rechtsnorm, Rechtssachen im weiteren Sinne. 
à) Unter den Rechtssachen lassen sich scheiden bürgerliche Rechts- 
streitigkeiten (GVG. § 13; EcG. z. ZPO. § 3; EG. z. BG. 
Art. 6) d. h. streitig gewordene Privatrechtsansprüche, 2) bei denen 
physische oder juristische Personen im Streit um ihre Privatrechte sich 
einander gegenübertreten. Der Regel nach gehört die Entscheidung 
über derartige Streitsachen vor die ordentlichen Gerichte. Hier- 
von gelten nur insoweit Ausnahmen, als zur Entscheidung einiger 
1) Vgl. G. Anschütz in Hinneberg, Kultur der Gegenwart. Systematische Rechts- 
wissenschaft 1906. F. Verwaltungsrecht. S. 339 ff. 
:) Eine Begriffsbestimmung enthalten die Reichsjustizgesetze nicht. Für die Be- 
stimmung einer Sache als „bürgerliche Rechtsstreitigkeit“ sind, wie die Motive zu 
§ 13 GVG. bemerken, in erster Linie die Reichsgesetze, sodann aber das Landes- 
recht des einzelnen Staates maßgebend. Der Begriff hat in den einzelnen Bundes- 
staaten eine sehr verschiedene Regelung gefunden (vogl. RE. Bd. 10 S. 294; Bd. 
11 S. 73; Bd. 12 S. 329; Bd. 13 S. 155; Bd. 21. S. 46; Bd. 23 S. 357; 
Bd. 32 S. 99.) Der Reichstag hat gleichfalls im Jahre 1875 den von der 
Reichstagskommission gestellten Antrag auf erschöpfende Regelung des Begriffs 
„bürgerliche Rechtsstreitigkeit“ abgelehnt. Auch die Abfassung des BGB. hat der 
Reichstagskommission für die Novelle zum GVG. nach eingehender Beratung keine 
Veranlassung geboten, von dem bisherigen Standpunkte abzugehen. Vgl. Hahn- 
Mugdan, die ges. Materialien 2c. Bd. 8 S. 216 ff.
	        
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