Full text: Die Verfassung und Verwaltung im Deutschen Reiche und Preußen. Zweiter Band. Preußen. (2)

178 5. Buch. Die materielle Staatsverwaltung. 
Art. 99 herrscht Streit. Man streitet insbesondere darüber, welche 
rechtliche Natur dem Etat zukommt. 
Eine weit verbreitete Ansicht (Fricker, Gneist, Laband, G. Meyer § 205, 
H. Scuhze II § 200, Prazak, Arch. f. öffentl. R., Seydel, Bayr. 
Staatsr. 1I § 281, Jellinek, Gesetz u. Verordnung S. 130 f. S. 276 f.) 
geht dahin, daß das Gesetz herkömmlich in Preußen gleichbedeutend 
mit „Anordnung eines Rechtssatzes“ sei, infolgedessen sei der 
Etat kein Gesetz, sondern nur ein Verwaltungsakt in Gesetzesform. 
Daraus ergebe sich, daß, da bei Vornahme dieses Verwaltungsaktes 
die Gesetze beobachtet werden müssen, das Abgeordnetenhaus nicht be- 
sugt sei (auch formell nicht), auf Gesetzen oder auf gesetzlich begründeten 
Einrichtungen des Staates beruhende Einnahmen oder Ausgaben zu 
verweigern. Die Entscheidung der hier aufgeworfenen Frage hängt von 
der Definition des Begriffs „Gesetz“ ab. Die einen sehen in einem 
Gesetz alles das, was von den gesetzgebenden Faktoren ohne Rücksicht 
auf seinen Inhalt als Gesetz bezeichnet wird, während andere nur das 
als Gesetz erklären, was eine Rechtsnorm enthält. Letztere Ansicht 
stützt sich auf die geschichtliche Entwicklung, besonders in Preußen. Es 
wird darauf hingewiesen, daß das Wort „Gesetz“ älter als die Ver- 
fassung sei, mithin ehemals keinen Zusammenhang mit den Rechten 
der Volksvertretung hätte haben können und die Anordnung eines 
Rechtssatzes (im Gegensatz zum Gewohnheitsrecht) ausgedrückt habe. 
Hiergegen hat man mit Recht eingewendet, daß in Preußen vor der 
Verfassung nicht jede Anordnung eines Rechtssatzes Gesetz hieß, sondern 
nur die vom Landesherrn getroffene, in bestimmter Form ver- 
kündete Anordnung. Ferner darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß 
seit der Verfassung in Preußen die gesetzgebenden Faktoren geschaffen 
sind, die pflichtmäßig allein zu prüfen haben, ob die zu treffende An- 
ordnung in der Form eines Gesetzes zu erlassen ist. Wenn daher 
Abs. 2 des Art. 99 Vl. bestimmt, daß der Etat jährlich durch ein 
Gesetz festgestellt wird, so soll damit nur gesagt sein, daß der Etat der 
Zustimmung der gesetzgebenden Faktoren bedarf. Vgl. Bornhak, Grund- 
riß des Verwaltungsrechts. Leipzig 1906 S. 168. Im übrigen 
enthält aber auch das Etatsgesetz eine Reihe zwingender Rechts- 
normen, wie diese in dem Komptabilitätsgesetz vom 11. Mai 1898 
GS. S. 77 nebst Ausf.-Anw. vom 8. Juni 1898 Ml. S. 133 
und Verordn. vom 13. Juni 1899, Abg. ZBl. S. 164 im einzelnen 
aufgezählt sind. Dieses Gesetz regelt die Ausstellung des Etats 
(658 1—12), die Führung des Staatshaushalts und die Rechnungs- 
legung und Kontrolle. Hervorzuheben ist, daß auf Grund der von 
den Ministern und obersten Verwaltungschefs ausgestellten einzelnen 
Voranschläge der allgemeine Staatshaushaltsvoranschlag vom Finanz- 
minister zusammengestellt wird. Der Voranschlag zerfällt in Einnahmen 
und Ausgaben, letztere gliedern sich in dauernde und in einmalige und 
außerordentliche. Getrennt sind aufzuführen: die einen Überschuß ab- 
werfenden Einnahmezweige (Staatsgüter und Forsten, Lotterie, See- 
handlung, Bergwerke, Eisenbahnen und Steuern), denen als Ausgaben 
die Betriebs-, Erhebungs= und Verwaltungskosten gegenüberstehen, ferner
	        
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