Full text: Die Verfassung und Verwaltung im Deutschen Reiche und Preußen. Zweiter Band. Preußen. (2)

20 1. Buch. Verfassung des preußischen Staates. 
zu richten, sie kann die an sie gerichteten Schriften an die Minister 
überweisen und von denselben Auskunft über eingehende Beschwerden 
verlangen (Art. 81 Abs. 3 VU.). 
8 6. Die Staatsbürger. 
Von den Rechten der Preußen. 
(Vu. Titel II Art. 3—429. 
Die preußische Verfassung hat in Anlehnung an die belgische Ver- 
fassung, folgend den in Frankreich während der französischen Revolution 
in der döcsaration von 1789 proklamierten „droits de Phomme 
et du citoyen“ und den von der Frankfurter Nationalversammlung 
am 21. Dezember 1848 beschlossenen Grundrechten, auch „Allgemeine 
Menschenrechte“ genannt, eine Reihe von Grundrechten 1) welche jedem 
Preußen als Staatsangehörigen dem Staate gegenüber zustehen, auf- 
genommen und den ungestörten Genuß derselben jedem Preußen 
gewährleistet. 
Die rechtliche Natur dieser Grundrechte ist streitig. ) Der 
Hauptstreit dreht sich darum, „ob diese Grundrechte bloß objektive, in 
die Form subjektiver Berechtigungen eingekleidete Rechtsnormen sind, 
welche der Staatsgewalt gewisse Schranken ziehen und dadurch die 
freie Betätigung der Persönlichkeit gewährleisten sollen, oder ob ver- 
möge dieser Beschränkung der Staatsgewalt den einzelnen Staats- 
angehörigen gewisse Ansprüche gegen den Staat erwachsen, ob mit 
anderen Worten die Grundrechte subjektive öffentliche Rechte der 
einzelnen Untertanen sind.“ (Vgl. Stier-Somlo, im Jahrb. des Ver- 
waltungsr. I 1907 S. 5). Die Meinungen der Staatsrechtslehrer 
hierüber sind geteilt. Die einen (v. Zoepfl, v. Rönne, G. Meyer, 
v. Schulze, v. Stengel, Loening und Gierke) sehen in den Grund- 
rechten subjektiv öffentliche Rechte, während andere (Laband, Haenel, 
Zorn, Bornhak, v. Seydel, v. Sarwey und O. Mayer) darin nur die- 
Grundlagen des objektiven Rechts finden. 
Gegen die rechtliche Natur der Grundrechte als subjektiv öffentlicher 
Rechte hat man vor allem eingewendet, daß der in ihnen verheißene 
Schutz auch ohne Zutun, selbst gegen den Willen des geschützten 
Individuums stattfindet, und daß dem Träger des Rechts zwar in 
manchen, aber doch nicht in allen Fällen die Macht zusteht, den Rechts- 
schutz selbständig zu realisieren und die Norm dem Verpflichteten gegen- 
über durchzusetzen. Aus diesem Grunde will man zwar einzelne 
Grundrechte, aber nicht sämtliche schlechthin als subjektive Rechte 
bezeichnen können. 
Die einzelnen Grundrechte zerfallen in „Schutzrechte“ und „Freiheits- 
rechte.“ Schutzrechte sind die Grundrechte der Unverletzlichkeit der 
Person, der Wohnung, des Briefgeheimnisses und des Eigentums, 
1) Das Altertum kannte keine Grundrechte im heutigen Sinne. Ihre ersten 
Spuren sollen gegen Ende des Mittelalters in England zu verzeichnen sein, 
während ihre eigentliche Ausbildung in Amerika erfolgte. Vgl. Giese, Die Grund- 
rechte (Abh. aus dem Staats= pp. recht.) Bd. 1 Heft 2. Tübingen 1905. 
3) Giese a. a. O.
	        
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