390 5. Buch. Die materielle Staatsverwaltung.
Anhang.
Schiffahrtswesen.)
Man urnterscheidet bei der Schiffahrt die Seeschiffahrt und
Binnenschiffahrt.
Nach Art. 4 der RV. unterliegt dem Deutschen Reich die Aufsicht
und Gesetzgebung über die Organisation eines gemeinsamen Schutzes
des deutschen Handels im Auslande, der deutschen Schiffahrt und
ihrer Flagge zur See (Nr. 7), die Herstellung von Wasserstraßen im
Interesse der Landesverteidigung und des allgemeinen Verkehrs (Nr. 8),
der Flößerei= und Schiffahrtsbetrieb auf den mehreren Bundesstaaten
gemeinsamen Wasserstraßen und deren Zustand, sowie die Fluß= und
sonstigen Wasserzölle, desgleichen die Seeschiffahrtszeichen (Leuchtfeuer,
Tonnen, Baken und sonstigen Tagesmarken) (Nr. 9 in Verbindung mit
Ges. vom 3. März 1873 RGBl. S. 47). In Art. 33 Abs. RV. ist
Deutschland für ein Handelsgebiet erklärt. Dementsprechend bilden
nach Art. 54 Abs. 1 RV. die Kauffahrteischiffe aller Bundesstaaten
eine einheitliche Handelsmarine. Die gesamte deutsche Kauffahrtei-
schiffahrt genießt vermöge ihrer Reichsangehörigkeit den Schutz des
Deutschen Reichs nach innen und außen. Außerlich bildet das Kenn-
zeichen hierfür die deutsche Flagge im Sinne des Art. 55 der VR.
Die nähere Ausgestaltung der dem Deutschen Reiche zugewiesenen
Kompetenzen wird in den Abs. 2—5 des Art. 54 der NV. unter
Scheidung der See= und Binnenschiffahrt dahin bestimmt, daß einheitliche
Schutzmaßregeln zu treffen sind über die Ermittelung der Ladungs-
fähigkeit der Seeschiffe und die Ausstellung der Meßbriefe, die
Ausstellung von Schiffszertifikaten, die Feststellung der Be-
dingungen für die Erlaubnis zur Führung von Seeschiffen.
Die Ladungsfähigkeit richtet sich nach der Schiffsvermessungsordnung,
früher vom 5. Juli 1872 (Rl. S. 270), geändert am 20. Juni 1888
(Röl. S. 190) und 1. März 1895 (Rol. S. 153) (bekannt gemacht
in neuer Fassung im RE Bl. vom 1. März 1895 S. 161) 6). Die
1) Es würde der großen Bedeutung, welche das Schiffahrtswesen für Preußen
hat, nicht gerecht werden, wenn lediglich aus dem Grunde, daß die gesetzliche Aus-
gestaltung dieser Materie neuerdings fast ausschließlich von Reichs wegen erfolgt
ist, diese wichtige Materie in dem Rahmen dieser Darstellung keine Erwähnung
fände. Ausgeschieden von der Darstellung, als außerhalb des Rahmens dieses
Werkes liegend, sind nur das materielle Seerecht, das analog gestaltete Recht, be-
treffend die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschiffahrt (RG. vom 15. Juni 1895
I& Gl. S. 301|) und das Flößereirecht (NG. vom 15. Juni 1895 NGBl. S. 3411.)
2) Literatur: Laband, Deutsch. Staatsr. § 80 4. Aufl. Freiburg 1901; Zorn,
Desgl. §§ 51—54 Tübingen 1905; Perels, Handb. des allgem. deutsch. öffentl.
Seerechts Berlin 1901; Wagner, Handbuch des Seerechts Leipzig 1885; W. Lewis,
Das deutsche Seerecht. Leipzig 1884. 2. Aufl. 2 Bde.; Knitschky, Seegesetzgebung
3. Aufl. Berlin 1902; Brodmann, Seegesetzgebung 2. Aufl. Berlin 1905; Graf Hue
de Grais, Handb. der Verf. u. Verw. §8 359—361. 17. Aufl. Berlin 1906.
?) Die Rechtsgültigkeit der Schiffsvermessungsordnung ist nicht unangefochten ge-
blieben, weil wegen ihres Inhalts, der zum Teil zwingende Rechtsnormen ent-
hält, der Bundesrat bei ihrem Erlaß einer besonderen Ermächtigung bedurft hätte
gemäß Art. 7 Nr. 2 der RV., aber der Art. 54 der R., auf den sich der Bundes-
rat beruft, eine solche Delegation vermissen läßt (vgl. Laband. § 77 IV).