§ 140. Einfluß der Reformation auf das Verhältnis der Kirchen 2c. 523
andacht, ein ehrliches Begräbnis und Gleichbehandlung in bürgerlichen
Verhältnissen zugesichert, ferner sollte das vorerwähnte Reservatum
ecclesiasticum auch den Protestanten zugute kommen und als Normal-
tag für den konfessionellen Besitzstand der 1. Januar 1624 gelten,
endlich sollte den Reichsständen gegenüber ihren andersgläubigen Unter-
tanen das jus reformandi kraft der Landeshoheit dauernd verbleiben,
jedoch mit zwei Schranken: das Maß der kirchlichen Religionsübung, wie
es im Jahre 1624 bestand, darf nicht beeinträchtigt eventuell die bloße
devotio domestica nicht verweigert werden.
Vorstehende Sätze waren von den weittragendsten Folgen für die
Entwicklung und Stellung der Kirchen in den deutschen Territorien.
Die evangelische Kirche hat sich von Anfang an in ihrer äußeren
Entwicklung an den Staat angelehnt.
Die evangelischen Reichsstände und Territorialherren ergriffen Besitz
von der freigewordenen Kirchengewalt über die Evangelischen unter
Zustimmung der Reformatoren und ohne Widerspruch der Gemeinden.
Sie regierten fortan als oberste Landesbischöfe, ihnen kam infolgedessen
auch die Ordnung sämtlicher kirchlicher Angelegenheiten zu, als „christ-
licher Obrigkeit“ lag ihnen die Regelung der kirchlichen Verfassung und
des Gottesdienstes ob. Auf dieser Grundlage erwuchsen seit 1528 in
den einzelnen Territorien und Städten besondere Kirchenordnungen,
d. h. Agenden, Visitationsartikel, Konsistorialordnungen, Eheordnungen,
welche mit dem Gesamtnamen „Kirchenordnungen“ bezeichnet zu
werden pflegen. Sie sind fast ausnahmslos von Reformatoren oder
anderen hervorragenden Theologen abgefaßt und von den Landesherren
und Stadtobrigkeiten (mit oder ohne Zuziehung der Stände und Ge-
meinden) erlassen, in der reformatorischen Kirche vielfach aus Synodal-
beschlüssen hervorgegangen, die zu einem Ganzen verbunden landes-
herrlich bestätigt und daher als weltliche Gesetze publiziert wurden.
Diese Kirchenordnungen, von denen die wichtigsten in das 16. Jahr-
hundert fallen, sind die hervorragendste Quelle des älteren evangelischen
Kirchenrechts (vgl. P. Schön, Das evangel. Kirchenrecht in Preußen.
Bd. 1 Berlin. 1903 § 11. S. 144). Im Gebiete des preuß. AL.
ist ein großer Teil des Inhalts der Kirchenordnungen durch dieses
selbst obsolet geworden. An sich ist der Fortbestand der Kirchenordnungen
im ALR. (Publ. Pat. Art. II und ALRK. II 11 § 66) ausdrücklich
anerkannt. Als die bedeutendsten sind hier zu nennen das Sächsische
Visitationsbuch von 1528, die Braunschweiger Kirchenordnung von 1533,
die Nürnberger Kirchenordnung von 1552, die Württembergische Kirchen-
ordnung von 1559, die Sächsische Kirchenordnung von 1580. Für die
Kurmark Brandenburg erging in gleicher Weise die neumärkische Kirchen-
ordnung von 1537, die kurmärkische von 1540 und die Konsistorial-
ordnung von 1573. Im übrigen bestand seit der Reformation im
brandenburgisch-preußischen Staat die Parität. Der Ubertritt Johann
Sigismunds zum reformierten Bekenntnisse im Jahre 1613 hatte, da
das Land dem Ubertritte nicht folgte und in dem Landtagsreverse von
1615 der Fortbestand der lutherischen Landeskirche gewährleistet wurde,
die Parität der Lutheraner und der Reformierten, welch letztere als