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I.
. Mai 1914.
Über die politischen Ergebnisse des Besuchs des Königs von England in Paris
erfahre ich, daß zwischen Sir Edward Grey und Herrn Doumergue eine Reihe poli-
tischer Fragen erörtert worden ist. Außerdem ist französischerseits die Anregung er-
folgt, die bestehenden besonderen militärpolitischen Abmachungen zwischen Frankreich
und England durch analoge Abmachungen zwischen England ind Rußland zu ergänzen.
Sir Edward Grey hat den Gedanken sympathisch aufgenommien, sich aber außerstande
erklärt, ohne Befragen des englischen Kabinetts irgendeine Bindung zu übernehmen.
Der Empfang der englischen Gäste durch die Französische Regierung sowie die Pariser
Bevölkerung soll den Minister in hohem Grade beeindruckt haben. Es ist zu be-
fürchten, daß der englische Staatsmann, der zum ersten Male in amtlicher Eigenschaft
im Ausland geweilt, und, wie behauptet wird, Uberhaupt zum ersten Male den englischen
Boden verlassen hat, französischen Einflüssen in Jukunft noch in höherem Grade unter-
liegen wird, als das bisher schon der Fall war.
II.
... . Juni 1914.
Die Nachricht, daß französischerseits anläßlich des Besuches des Königs von
England in Paris militärische Abmachungen zwischen England und Rußland angeregt
worden sind, wird mir bestätigt. Uber die Vorgeschichte erfahre ich zuverlässig, daß
die Anregung auf Herrn Iswolski zurückgeht. Der Gedanke des Botschafters war
es gewesen, die erwartete Feststimmung der Tage von Paris zu einer Umwandlung
der Tripleentente in ein Bündnis nach Analogie des Dreibundes auszunutzen. Wenn
man sich schließlich in Paris und Petersburg mit weniger begnügt hatz, so scheint
dafür die Erwägung maßgebend gewesen zu sein, daß in England ein großer Teil der
öffentlichen Meinung dem Abschluß förmlicher Bündnisverträge mit anderen Mächten
durchaus ablehnend gegenübersteht. Angesichts dieser Tatsache hat man sich trotz der
zahlreichen Beweise für den gänzlichen Mangel an Widerstandskraft der englischen
Politik gegen Einflüsse der Entente — ich darf an die Gefolgschaft eriunern, die noch
jüngst Rußland in der Frage der deutschen Militärmission in der Türkei von England
erfahren hat — offenbar gescheut, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Es ist
vielmehr die Taktik langsamen schrittweisen Vorgehens beschlossen worden. Sir Edward
Grey hat die französisch-russische Anregung im englischen Ministerrat warm vertreten,
und das Kabinett hat sich seinem Votum angeschlossen. Es ist beschlossen worden,
in erster Linie ein Marineabkommen ins Auge zu fassen und die Verhandlungen in
London zwischen der englischen Admiralität und dem russischen Marineattachs statt-
finden zu lassen.
Die Befriedigung der russischen und französischen Diplomatie über diese erneute
Uberrumpelung der englischen Politiker ist groß. Man hält den Abschluß eines for-
mellen Bündnisvertrages nur noch für eine Frage der Jeit. Um dies Ergebnis zu
beschleunigen, würde man in St. Petersburg sogar zu gewissen Scheinkonzessionen an
England in der persischen Frage bercit sein. Die zwischen den beiden Mächten in
dieser Hinsicht in letzter Zeit aufgetauchten Meinungsverschiedenheiten haben noch keine