Full text: Amtliche Kriegsdepechen Band 2 (2)

Ein österreichisch-ungarisches Rotbuch. 
Wien, 3. Februar. Heute ist ein Rotbuch über die Vorgeschichte des Krieges 
erschienen. Es enthält 69 Aktenstücke und reicht vom 29. Juni bis zum 24. August 1914. 
U. a. wird mitgeteilt: Am 26. Juli telegraphierte Graf Szápáry aus Petersburg, der 
deutsche Botschafter habe dem Minister Sasonow in ernster Weise von den russischen 
Mobilisierungsgerüchten gesprochen und hinzugefügt, Mobilisierungsmaßnahmen  seien 
ein höchst gefährliches Druckmittel, und wenn in Deutschland einmal auf den Knopf 
gedrückt werde, sei die Sache unaufhaltsam, worauf Minister Sasonow unter Ehren- 
wort versicherte, bisher sei kein Pferd und kein Reservist eingezogen und es handle 
sich lediglich um vorbereitende Maßnahmen in den Militärbezirken Kiew, Odessa, 
vielleicht Kasan und Moskau. — Infolge der Erklärungen des deutschen Botschafters 
habe dann der Kriegsminister Suchomlinow den deutschen Militärattaché zu sich 
gebeten und ihm dieselbe Versicherung ebenfalls unter Ehrenwort gegeben. Wenn 
Oesterreich-Ungarn die serbische Grenze überschreite, würden die auf Oesterreich-Ungarn 
gerichteten Mililärbezirke mobilisiert, unter keinen Umständen die an der deutschen 
Front; man wünsche dringend Frieden mit Deutschland. Der Militärattaché er- 
widerte, daß auch die Mobilmachung gegen Oesterreich-Ungarn als sehr bedrohlich 
angesehen werden würde. 
Am 27. Juli ermächtigte Graf Berchtold den Grafen Szápáry telegraphisch, sich 
Sasonow gegenüber dahin auszusprechen, daß, solange der Krieg zwischen Oesterreich- 
Ungarn und Serbien lokalisiert bleibe, die Monarchie irgendwelche territoriale Er- 
werbungen nicht beabstchtigt. 
In einem zweiten Telegramm ersucht Graf Berchtold den Grafen Szápáry, da 
der Punkt betreffend die Beteiligung von k. und k. Funktionären bei der Unterdrückung 
der serbischen Umsturzbewegung den besonderen Widerspruch Sasonows hervorrief, 
ihm vertraulich mitzuteilen, daß damit nicht eine Tangierung der Souveränität 
Serbiens beabsichtigt war, sondern an die Errichtung eines mit den serbischen Be- 
hörden kooperierenden Sicherheitsbureaus nach der Art der analogen russischen Ein- 
richtungen in Paris gedacht wurde. 
Am 28. Juli ersuchte Graf Berchtold den Botschafter Grafen Szögyeny, sich sofort 
zum Reichskanzler oder zum Staatssekretär zu begeben und es dem Berliner Kabinett 
zur dringenden Erwägung zu unterbreiten, ob nicht Rußland in freundschaftlicher 
Weise darauf aufmerksam gemacht werden sollte, daß die für den Fall einer Ueber- 
schreitung der serbischen Grenze angekündigte Mobilisierung der vier gegen Oester- 
reich-Ungarn gelegenen russischen Militärbezirke einer Bedrohung Oesterreich-Ungarns 
gleichkomme und daher, falls sie tatsächlich erfolgte, sowohl von der Monarchie als 
auch vom verbündeten Deutschen Reich mit den weitestgehenden militärischen Gegen- 
maßregeln beantwortet werden müßte. 
Inzwischen hatte der deutsche Botschafter in Wien mitgeteilt, daß sich Sir Edward 
Grey an die deutsche Regierung mit der Bitte gewendet habe, sie möge ihren Einfluß 
in Wien geltend machen, damit hier die Belgrader Antwort entweder als genügend