Der Reichskanzler über den Treubruch Italiens.
Berlin, 28. Mai. In der heutigen Reichstagssitzung ergriff vor Eintritt in
die Tagesordnung der Reichskanzler v. Bethmann Hollweg das Wort zu folgender
Rede:
„Meine Herren, als ich vor acht Tagen zu Ihnen sprach, bestand noch ein
Schimmer von Hoffnung, daß das Losschlagen Italiens verhütet werden könnte.
Die Hoffnung hat getrogen. Das deutsche Empfinden sträubte sich, an die Möglich-
keit einer solchen Wendung zu glauben. Jetzt hat die italienische Regierung
selbst ihren Treubruch mit blutigen TLettern unvergänglich in das Such der Welt-
geschichte eingeschrieben (lebhaftes Sehr richtig! und stürmische Zustimmung). Ich
glaube, es war Macchiavelli, der einmal gesagt hat, der Krieg, der notwendig sei,
sei auch gerecht. War von diesem nüchternen, realpolitischen Standpunkt aus, der
von allen moralischen RKeflexzionen absieht, war auch nur so gesehen dieser Krieg
notwendig, ist er nicht vielmehr geradezu sinnlos? (Sehr richtigh) Niemand bedrohte
Italien, weder Oesterreich-Angarn noch Deutschland. Ob die Tripleentente es hat
bei Lockungen bewenden lassen, wird die Geschichte später zeigen (lebhafter Zeifalh.
Ohne daß ein Blutstropfen geflossen wäre, ohne daß das Leben eines einzigen
Italieners gefährdet wurde, konnte Italien die lange Liste von Konzessionen haben,
die ich Ihnen neulich verlesen habe: Land in Tirol und am Isonzo, soweit die
italienische Zunge klingt, Befriedigung nationaler Wünsche in Triesk, freie Hand in
Albanien, der wertvolle Hafen von Balona. Warum haben sie es nicht genommen?
Wollen sie etwa das deutsche Tirol erobern? Hände weg (lebhafter stürmischer
Beifall). Wollte sich Italien an Deutschland reiben, an dem Lande, dem es doch
in seinem Werden zur Großmacht so manches zu verdanken hat (Sehr richtig), an
dem TLande, von dem es durch keinerlei Interessengegensähe getrennt ist? Wir haben
in RKom keinen Zweifel gelassen darüber, daß ein italienischer Angriff auf die öster-
reichisch-ungarischen Truppen auch deutsche Truppen treffen würde (Beifall). Wes,
halb hat Rom die Wiener Vorschläge so leichtfertig abgewiesen? Das italienische
Kriegsmanifest, ein Dokument, in dem das schlechte Gewissen hinter hohlen Phrasen
verskeckt ist (Sehr richtigl), gibt uns keinen Aufschluß. Man hat sich vielleicht doch
gescheut auszusprechen, was durch die Dresse und durch Gespräche der parlamen.
tarischen Wandelgänge als Vorwand verbreitet wurde, das österreichische Angebot sei
zu spät gekommen und man habe ihm nicht trauen können. Wie stieht es in Wirk-
lichkeit? Die römischen Staatsmänner hatten kein Recht, an die Vertrauenswürdig-
keit anderer Nationen denselben Maßstab anzulegen, den sie sich für die eigene
Vertragstreue gebildet hatten (lebhaftes Sehr richtig! und große Heiterkeit).
Deutschland bürgte mit seinem Wort dafür, daß die Konzessionen durchgeführt
werden würden. (Hört, hörttl) Da war kein Kaum für Mißtrauen (lebhafte
Zustimmung). LInd weshalb zu spät7 Das Trentino war am 4. Mai kein anderes
Land, als es im Februar gewesen wäre, und es war zum Trentino im Mai eine
ganze Reihe Konzessionen hinzugekommen, an die man im Winter noch nicht