80 Artikel 2. Der Fall Lauenburg.
Ergiebiger sind die parlamentarischen Verhandlungen. Bemerkenswert ist
namentlich der Bericht des ZAussch der I. K. zu Art. 2 (I. K. 642), wo der
Unterschied zwischen völkerrechtlichem Erwerb und staatsrechtlicher Annexion
scharf hervortritt. „Es ist“, heißt es dort, „bei neuen Gebietserwerbungen
der Akt der Besitzergreifung von der weiteren Disposition über das
neue Gebiet, bzw. dessen Einverleibung in das preußische Staatsgebiet
wohl zu unterscheiden. Zur ersten Besitzergreifung kann der König un-
zweifelhaft aus eigener Machtvollkommenheit schreiten; die weitere Be-
stimmung über die Stellung des in Besitz genommenen Gebietes zu
dem preußischen Staate aber soll nicht ohne Zustimmung der Kammern .
erfolgen.“ Tiefgehende Meinungsverschiedenheiten zwischen der Staats-
regierung und dem Hdbg legten die Verhandlungen des letzteren über
Lauenburg, 2. Februar und 20. Dezember 1866, bloß. Der Fall
Lauenburg ist schon oben, S. 74, erwähnt worden, von einer anderen
Seite wird auf ihn bei Art. 55 zurückzukommen sein. Hier interessiert
allein die Frage, ob die völkerrechtliche Erwerbung Lauenburgs durch
die Gasteiner Konvention vom 14. August 1865 die staatsrechtliche Ver-
einigung des Landes mit Preußen gemäß Art. 2 erforderte. Diese
Frage ist von der Staatsregierung im HdAbg (insbesondere in den
Sitzungen vom 3. Febr. und vom 20. Dez. 1866) zu Unrecht verneint
worden.
Ausschlaggebend erscheinen folgende Erwägungen. Zu der von der
Regierung damals für gut befundenen Unterlassung der Inkorporation
und zur Begründung einer bloßen Personalunion wäre man nur dann
berechtigt — dann aber auch verpflichtet — gewesen, wenn Lauenburg
zur Zeit des Erwerbes (1865) noch staatliche Selbständigkeit besessen
hätte. Letzteres war aber nicht der Fall. Die drei unter sich und mit
Dänemark unierten Staaten Schleswig, Holstein und Lauenburg haben
ihre Staatlichkeit eingebüßt vermöge Eroberung durch Preußen und
Osterreich im dänischen Kriege, 1864. Wenn auch dieser Krieg, politisch
betrachtet, nicht gegen, sondern um die drei deutschen Länder mit
Dänemark geführt wurde, so waren sie doch im Verhältnis zu den
Kriegsgegnern Dänemarks keineswegs neutrale, sondern feindliche Staaten,
die mit Dänemark zusammen besiegt und, zum Unterschied von Däne-
mark, vollständig erobert wurden, wodurch ihre Eigenschaft als Staaten
in jedem Sinne und von Rechts wegen ihr Ende erreichte. Auch Lauen-
burg also war seitdem ein Land, aber kein Staat mehr, ein Land,
welches, wie bekannt und erwähnt, zunächst dem Kondominat Preußens
und Osterreichs unterworfen wurde, dann aber durch die Gasteiner Kon-
vention, unter Auflösung des Kondominats, in den Alleinbesitz Preußens