Artikel 2. Der Fall Lauenburg. 81
überging. Weder durch die Begründung noch durch die Wiederauflösung
des Kondominats ist die 1864 zerstörte Staatlichkeit wiederhergestellt
worden und war ebendaher Lauenburg bei seinem Ubergange an
Preußen gar nicht fähig, mit diesem Staat eine (Personal- oder Real.)
union einzugehen. Denn Unionen sind Staatenverbindungen, Rechts-
verhältnisse von Staat zu Staat. Es ist richtig, wenn Bismarck (AbgH
3. Febr. 1866, Sten Ber S. 64, 65) meinte, Lauenburg sei kein „fremdes
Reich" im Sinne des Art. 55. Noch richtiger wäre es gewesen, zu
sagen: es ist kein Staat. Es war eine reine Fiktion, wenn das Ländchen
bis 1876 als ein selbständiges Staatswesen behandelt wurde. Die
oben Nr. 6 und 10 zu b angegebenen Voraussetzungen, welche die An-
wendung des Art. 2 ausschließen, trafen hiernach auf Lauenburg nicht
zu. Ebensogut wie Lauenburg 1865 hätte man 1819 Hohenzollern und 1866
alle damals eroberten Länder, namentlich aber Schleswig-Holstein ohne und
wider den Willen des Landtages außerhalb der preußischen Staatsgrenzen
lassen und lediglich „Personalunionen“ mit ihnen begründen können.
Noch weniger handelte es sich um den Fall Nr. 10 zu c, denn Lauenburg
ist in jeder Hinsicht durch die Kräfte und Mittel des Staates, vom
König also nicht für sich persönlich, sondern dem Staate erworben
worden. Letzteres wurde auch 1866 von der Staatsregierung zugegeben
(vgl. Bismarck im HdAbg, Sten Ber 1 65: „Der König ist nicht Privat-
besitzer, sondern Landesherr dieses Herzogtums"), gleichzeitig jedoch be-
hauptet (Bismarck a. a. O., Minister Graf Eulenburg das. 63), der König
habe das Recht, über „Eroberungen der königlichen Kriegsmacht" frei zu ver-
fügen, wobei verkannt wurde, daß die Verfassung, Art. 2, der königlichen
Verfügungsfreiheit Schranken zieht. — Ubereinstimmend mit dem hier ver-
tretenen Standpunkt Bornhak, Preuß. StR. 1 233 und Anm. 14, vRZ 1
196, 197; AM Arndt S. 58, 59. Gegen letzteren ist zu bemerken, daß
nach der Gasteiner Konvention Lauenburg allerdings „ohne weiteres
als eine für den Staat gemachte Erwerbung zu betrachten“ war:
„ohne weiteres“ nämlich im völkerrechtlichen Sinne. Lauenburg war eine
völkerrechtliche Gebietserwerbung, vollzogen durch Auflösung eines
Kondominats (vgl. oben S. 74). Die Perfektion der Erwerbung
trat ein mit dem Abschluß des Auflösungsvertrages, der Gasteiner Kon-
vention. Ob letztere in ihrer Eigenschaft als Staatsvertrag gemäß Art. 48
der Zustimmung des Landtags bedurfte (was 1866 von der Staatsre-
gierung verneint, vom Hd Abg dagegen bejaht wurde; vgl. Sten Ber a. a. O.
S. 63ff. [Bismarckl, 72ff. [Virchowl, s. auch E. Meier, Staatsverträge
S. 246), ist hier nicht zu untersuchen; jedenfalls mußte sie, als Ge-
bietserwerbsgeschäft des Völkerrechts, nach dem oben Nr. 9 S. 77, 78 Ge-
Anschütz, Preuß. Verfaffungs-Urkunde. I. Band. 6