Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

84. Artilel 2. Rechtszustand neu erworbener Gebiete. 
G#S# 385, 5 2). Bisweilen ist auch die Frage des Rechtszustandes von N 
gesetzgeberisch getrennt behandelt und neben dem Inkorporationsgesetz 
ein besonderes Gesetz darüber erlassen worden: G. betr. den Rechtszustand 
des Jadegebietes v. 23. März 1873, GS 107, G. betr. den Rechtszustand 
der an Preußen gefallenen Teile des Kommunionharzes v. 21. April 1875, 
GS 199. Schweigt das Inkorporationsgesetz und fehlt ein besonderes 
Rechtszustandsgesetz, so wäre weiter zu fragen, ob beim Abschluß des der 
Inkorporation zugrunde liegenden Staatsvertrages Abmachungen über 
Erhaltung und Anderung des Rechtszustandes getroffen worden sind 
(Beispiel: deutsch-englischer Vertrag v. 1. Juli 1890 über die Abtretung von 
Helgoland an das Deutsche Reich, Art. 12, wonach die auf der Insel 
geltenden Gesetze und Gewohnheiten, „soweit es möglich ist“, bestehen 
bleiben sollen; vgl. auch preußisch-altenburgischer Vertrag v. 9. Juli 1868, 
GeS# 1869 S. 540, §§ 4ff.). Derartige Abmachungen sind bindende Aus- 
legungsregeln für das Verständnis des Inkorporationsgesetzes. In Er- 
mangelung jeder ausdrücklichen, gesetzgeberischen oder vertragsmäßigen Be- 
stimmung des Einzelfalles — wie z. B. im Falle der Einverleibung von 
Hohenzollern, vgl. oben S. 76 und Rg 178— muß auf allgemeine Grund- 
sätze zurückgegangen werden. Es fragt sich, ob die preußische Gesetzgebung 
solche kennt. In der Verfassung finden sich keine und auch später ist ein 
generelles Gesetz der Art wie etwa das hessische Gesetz, die Einführung 
bestehender Gesetze in neue Gebietsteile betr., vom 30. Dez. 1904 (val. 
van Calker, hess. Verfassungsgesetze 281) nicht ergangen. Eben deshalb 
kann und muß — Vl. Art. 109 — das vorkonstitutionelle Recht 
herangezogen werden. Man hat zunächst in der KO v. 6. März 1821 
(GS 30) eine einschlägige Regel von allgemeiner Tragweite erblicken 
wollen, derzufolge, da in ganz Preußen „nur ein inneres Staatsrecht 
gelten könne“, insbesondere die „ganze staatsrechtliche Partie des ALR“ 
in jedem neu erworbenen Landesteile von selbst und unmittelbar auf 
grund der Erwerbung in Kraft trete: so insbesondere Hubrich, A föff R 
20 117 und in Hirths Ann. 1904 835; 1907 82, 08 662 ff., 728 ff.; auch 
Bornhak, preuß. Staats- und Rechtsgesch. S. 435. Gegen Hubrich und 
Bornhak mit Recht Fleischmann, in Egers Ztschr. f. Eisenbahnrecht 21 (1905) 
424 ff. Die KO vom 6. März 1821 bezieht sich nur auf eine Spezial- 
materie: sie führt die altländischen Strafgesetze über Verbrechen und 
Vergehen gegen den Staat und dessen Oberhaupt und über Dienstvergehen 
der Verwaltungsbeamten in der Rheinprovinz ein und motiviert diese 
Einführung mit der Erwägung, daß es in bezug auf diesen Teil der 
Strafgesetzgebung „nur Ein inneres Staatsrecht“ in der Monarchie 
geben könne. Die KO von 1821 kann also nicht einmal als gelegent-
	        
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