116 Artilel 4. Die Standesvorrechte.
Geburtskaste genommen, sind die Erbuntertänigkeit und die anderen
privilegia odiosa des Bauernstandes aufgehoben worden (vgl. zu dem
letzteren Punkte auch Art. 42). Ethalten geblieben waren schließlich
im wesentlichen nur noch die Vorrechte hochadeliger Kreise: der
Mitglieder des königlichen Hauses und der Standesherren. Auch diese
Privilegien würden dem Prinzip des zweiten Satzes zum Opfer ge-
fallen sein, wenn nicht die weitere Rechtsentwicklung ihnen den zum
Fortleben nötigen Raum verschafft hätte. Letzteres ist geschehen, ohne
den Text des zweiten Satzes entsprechend zu ändern bzw. zu ergänzen;
insbesondere ist die unten zu erwähnende „Deklaration“ des Art. 4
vom 10. Juni 1854, welche die standesherrlichen Privilegien mit Satz 2
verträglich gemacht hat, nicht als integrierender Bestandteil des Art. 4
publiziert und formelles Verfassungsrecht daher nicht geworden. Ob-
gleich also der Verfassungstext Ausnahmen von dem Prinzip des zweiten
Satzes nicht kennt, bestehen nach geltendem Rechte dennoch solche Aus-
nahmen. Sie gründen sich teils auf die preußische Landes., teils auf
die Reichsgesetzgebung (lbersicht bei Schücking, Quellensammlung zum
Preußischen Staatsrecht (1906)1, S. 1, 2 N. 5) und beziehen sich, da
die früheren Vorrechte des niederen Adels nach keiner Seite hin
reaktiviert wurden, ausschließlich auf Angehörige des hohen Adels: auf
die Mitglieder des königlichen Hauses, des fürstlichen Hauses Hohen-
zollern, der durch die neuere Landes= und Reichsgesetzgebung den re-
gierenden Häusern in wesentlichen Punkten gleichgestellten 1866 deposse-
dierten Dynastien und der standesherrlichen Familien. Die hiermit
bezeichneten Kreise, und nur sie, haben die Eigenschaft bevorrechteter
Geburtsstände bis heute bewahrt. Dagegen besitzt der niedere Adel
— meist „Adel“ schlechtweg genannt — diese Eigenschaft nach preußischem
Staatsrecht nicht mehr und sind daher die auf ihn bezüglichen Rechts-
sätze nicht bei Art. 4, als Ausnahmen vom zweiten Satze dieses
Artikels, sondern bei Art. 50, woselbst die Verfassung von den mit
Vorrechten nicht verbundenen Auszeichnungen handelt, vorzutragen.
Übereinstimmend Schwartz, Komm. zu Art. 50; auch vR 2 +552 trennt
den Adel von den „gesetzlich bevorzugten Staatsbürgern“ (§ 51).
7. Die einzelnen Klassen der Bevorrechteten. — a. Die Mitglieder
des königlichen Hanses. — Daß nach dem Wortlaut des zweiten
Satzes dessen derogatorische Wirkung vor keinem „Standesvorrecht“
Halt macht, ist bereits erwähnt; der Satz ignoriert nicht nur die
Privilegien des niederen und standesherrlichen Adels, sondern auch die
des königlichen Hauses, und müßte hieraus eigentlich gefolgert werden,
daß, wie man jene zweifellos zu beseitigen gedachte, so auch diese