142 Artikel 5. Staatsnotrecht. Analogie.
Kein dem positiven Recht angehöriges Rechtsinstitut, sondern ein
Phantasiegebilde ist das sogenannte „Staatsnotrecht“ oder ius eminens.
Das soll ein Notstandsrecht der Verwaltung sein, vermöge dessen diese
solche Eingriffe, welche ihr mangels ermächtigender Gesetzesvorschriften
sonst verwehrt sind, dann doch vornehmen darf, wenn sie durch ein
Notstandsbedürfnis (bzw. was die Verwaltungsorgane dafür halten) ge-
boten erscheinen. Ein solches ius eminens gibt es nicht; val. Anschütz,
VArch 5 23, Jellinek, Allg. Staatsl. 1 350, Layer, Prinzipien des Ent-
eignungsrechts (1902), 36 ff., Wolzendorff im Af öff R 27 220 ff.; Al
Biermann, Privatrecht und Polizei in Preußen 125, 183; weitere
Literatur bei Fleiner, Institutionen 191 Anm. 5 Auch können die Grund-
sätze des Zivil- und Strafrechts über das Handeln im Notstande auf
das Verhältnis der Verwaltung zur persönlichen Freiheit des Einzelnen
nicht analog übertragen werden.
10. Denn die Analogie ist auf dem Gebiete des Verwaltungs-
rechts schlechthin ausgeschlossen, soweit dadurch die Rechte der Ver-
waltung über das ihr durch das Gesetz gewährte Maß hinaus erweitert
werden sollen (Anschütz, VäArch 14 329ff.). Es steht hiermit im Ver-
waltungsrecht ebenso wie im Strafrecht. Wie der Strafrichter nur strafen
darf nach dem Gesetz und nicht nach der Analogie eines Gesetzes (hierlber
s. unten Art. 8 S. 151), so dürfen die Verwaltungsorgane in die Freiheit
der Untertanen nur eingreifen auf Grund des Gesetzes (in dem Nr. 7—9
erörterten Sinne), nicht aber nach der Analogie desselben. Zustimmend
Hatschek, Jahrb d öff R 3 26 Anm. 9, Schanze, in Fischers Ztschr. f. Praxis
u. Gesetzgebung der Verwaltung 36 25ff.; ablehnend Rg 1 146, 2 744,
Triepel in der Festgabe für Laband (1908), 2 309ff.; zweifelnd Spiegel,
Die Verwaltungsrechtswissenschaft (1909), 199 Anm. 78.
Artikel 6.
Die Wohnung ist unverletzlich. Das Eindringen in dieselbe
und Haussuchungen, so wie die Beschlagnahme von Briefen
und Hapieren sind nur in den gesetzlich bestimmten Fällen und
Formen gestattet.
1. Entstehungsgeschichte. — Die oktr V, Art. 6, hat statt der zwei
Sätze des geltenden Textes deren drei, folgenden Wortlautes: „Die
Wohnung ist unverletzlich. Das Eindringen in dieselbe und Haussuchungen
sind nur in den gesetzlich bestimmten Fällen und Formen gestattet. Die
Beschlagnahme von Briefen und Papieren darf, außer bei einer Ver-
haftung oder Haussuchung, nur auf Grund eines richterlichen Befehls
vorgenommen werden.“ — Gegen die Aufnahme des dritten Satzes