Artikel 9. Entstehungsgeschichte. 153
Artikel 9.
Das Eigentum ist unverletzlich. Es kann nur aus Gründen
des öffentlichen Wohles gegen vorgängige in dringenden ZFällen
wenigstens vorläufig festzustellende Entschädigung nach Maß-
gabe des Gesetzes entzogen oder beschränkt werden.
1. Entstehungsgeschichte. — Daß der Artikel „durch Zusammen-
ziehung zweier Grundrechte“ entstanden sei (Arndt, Komm. 101), ist un-
richtig; der Inhalt des Artikels ist in den Entwürfen nie auf zwei Artikel
verteilt gewesen. Richtig aber ist, daß der erste Satz erst in einem
späteren Stadium der Entstehungsgeschichte eingefügt wurde. Die Reg Vorl
und der Komm Entw der Nat Vers haben ihn noch nicht. Erstere, § 8,
sagt: „Das Eigentum kann nur aus Gründen des öffentlichen Wohles
in den durch das Gesetz festgestellten Formen gegen Entschädigung
entzogen oder beschränkt werden“; letzterer gab diesem § 8 (als
Art. 33) die Fassung: „Das Eigentum kann nur aus Gründen des
öffentlichen Wohles gegen vorgängige, in dringenden Fällen wenigstens
vorläufig festzustellende Entschädigung entzogen oder beschränkt werden“.
Die von Waldeck verfaßten Motive (Rauer 105, 126) bemerken hierzu:
„Wer sein Eigentum zugunsten des Staates aufgeben muß, kann mit
Recht verlangen, daß eine Entschädigung vorhergeht, damit ihm während
der Zeit, welche die Feststellung dieser Entschädigung in Anspruch nimmt,
nicht der Besitz und Genuß des Eigentums entzogen werde. Dringende
Fälle können eine Ausnahme erheischen. Doch wird es auch dann
möglich sein, eine vorläufige Feststellung vorangehen zu lassen, vorbe-
hältlich der definitiven, welche nachträglich erfolgen wird."“
Art. 9 ist, wie ersichtlich, dadurch entstanden, daß man dem Art. 33
des Komm Entw, unter Abänderung der Worte „das Eigentum“ in „Ez“
den Satz voranstellte: „Das Eigentum ist unverletzlich.“ Dies geschah
durch die oktr V, deren Art. 8 mit der geltenden Fassung des Art. 9
wörtlich übereinstimmt. Was die oktr. und rev. Verfassung mit dem ersten
und namentlich mit dem zweiten Satze ihres Art. 8 bzw. 9 sagen wollten,
wird am besten durch die Arbeiten und Verhandlungen der I. Revisions-
kammer beleuchtet. Hervorzuheben ist daraus namentlich folgendes:
I. Der Ber des ZAussch beantragt unveränderte Annahme des Art. 8
oktr V und führt hierzu aus (I. K. 668, 669);
„Das .. angeregte Bedenken, daß unter Eigentum, von welchem
in dem Artikel die Rede ist, nicht bloß das an Sachen, sondern auch das
an Rechten verstanden werden müsse, danach aber keine Gesetze über un-
entgeltliche Aufhebung von Grundlasten zulässig erscheinen würden, hat