Artikel 9. Entstehungsgeschichte. 155
Anlaß geben könne. Er bemerkte: „Der Artikel bestimmt insbesondere
auch, daß, wenn aus Gründen des öffentlichen Wohles eine Be-
schränkung stattfinde, dies nur nach Maßgabe vorgängiger Ent-
schädigung geschehen könne. Nun gibt es aber gesetzliche Beschränkungen
in Ausübung des Eigentumsrechts, bei welchen von Entschädigung nicht
die Rede sein kann. Dahin gehören z. B. Beschränkungen beim Bauen,
bei Ausübung des Jagdrechts u. a., die durchaus notwendig sind. Nun
wollte ich mich dagegen verwahren, daß man aus der Fassung des
Artikels schließen könnte, als ob auch dergleichen Beschränkungen nur
gegen Entschädigung möglich seien.“ — Nachdem noch Bedenken gegen
den ersten Satz des Artikels — die „Unverletzlichkeit“ — erhoben worden
waren, diesmal aber nicht, weil der Satz unwahr, sondern weil er
selbstverständlich und daher überflüssig sei (Abg. Triest, 669), ergriff der
Justizminister Simons das Wort (670). Er erklärte sich mit dem Zussch
dahin einverstanden, daß die unentgeltliche Aufhebung von Rechten,
z. B. Grundlasten, im Wege der Gesetzgebung mit dem Prinzip des
Artikels durchaus vereinbar sei, wie denn die Verfassung ja selbst (oktr V
Art. 40 = rev V Art. 42) auf ein solches Vorgehen verweise. Weiter
bezeichnete er als Sinn des zweiten Satzes des Artikels, „daß eine
Expropriation aus Gründen desöffentlichen Wohls nicht anders
geschehen könne als gegen eine jedenfalls vorläufig festzustellende Ent-
schädigung“. Das „Gesetz, auf welches der zweite Satz verweise“, sei
„ein sogenanntes Expropriationsgesetz“. Endlich greift der Minister auf die
oben wiedergegebene Außerung des Abg. Kisker zurück, die er vollauf
billigt. Kisker habe den Sinn des zweiten Satzes richtig eingeschränkt.
Mißverständnissen werde übrigens durch die Fassung des Satzes begegnet,
„weil dort offenbar von Entziehungen und Beschränkungen,
welche in einzelnen Fällen eintreten sollen, die Rede ist, nicht
aber von Beschränkungen, welche vermöge einer allgemeinen
gesetzlichen Disposition stattfinden". — Die Kisker--Simonsche
Auslegung wurde von keiner Seite bemängelt. Zu vorstehendem vgl.
auch vRZ 2 216 Anm. 4 und OG 37 136.
2. Die beiden Sätze des Artikels. — Die Auslegung des Artikels
hat zunächst das Verhältnis zu prüfen, in dem der erste und zweite
Satz zueinander stehen. Wie unten 164 ff. darzulegen sein wird, bezieht
sich der zweite Satz nur auf das Rechtsinstitut der Enteignung. Es
fragt sich nun, ob auch der erste Satz mit dieser begrifflichen Ein-
schränkung zu verstehen ist. Anders ausgedrückt: bedeutet die im ersten
Satze gewährleistete „Unverletzlichkeit“ des Eigentums nur Sicherheit vor
willkürlicher Enteignung (über diesen Begriff vgl. unten S. 165), oder