Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

158 Artikel 9. Verwaltung und Eigentum. 
Möglichkeit der Gewohnheitsrechtsbildung unberührt bleibt und das Dasein 
ungeschriebener Normen auf dem Gebiete des Verwaltungsrechts keines- 
wegs geleugnet werden soll: vgl. bei Art. 5 S. 141 und unten S. 161, 163), 
so ergibt sich, daß man den vorigen Satz ohne inhaltliche Anderung auch 
so formulieren kann: die Verwaltung darf in das Privateigentum nur 
insoweit eingreifen, als (abgesehen von den Ausnahmefällen, wo ein 
Gewohnheitsrechtssatz ihr zur Seite steht) das Gesetz ihr dieses gestattet. 
Und dann, aber auch nur dann, d. h. wenn man jenen Obersatz, wonach 
alle Rechtsverhältnisse zwischen Verwaltung und einzelnen nur durch 
Gesetz, nie aber praeter legem durch sogenannte selbständige Verordnungen 
geregelt werden können, als richtig anerkennt, — nur alsdann bedeutet 
der Satz „das Eigentum ist unverletzlich“ soviel wie „die Verwaltung 
darf in das Eigentum eingreifen nur auf Grund des Gesetzes“. 
Arndt hat im Ergebnis gewiß recht, wenn er — Komm. 101, 102 — 
meint, Art. 9 Satz 1 schütze vor allen (nicht bloß vor enteignenden oder 
enteignungsartigen) Eingriffen, welche der gesetzlichen Grundlage entbehren. 
Wie aber will er zu diesem Ergebnis gelangen von dem Boden einer Theorie 
aus, welche die gesetzliche (anstatt der verordnungsmäßigen) Regelung einer 
Materie nur insoweit für erforderlich erachtet, als die Verfassung dieses aus- 
drücklich vorschreibt? Wenn die Krone nach sonstigen, verfassungs- oder 
außerverfassungsmäßigen Grundsätzen, also überhaupt das Recht hätte, 
das Privateigentum durch selbständige Verordnungen zu beschränken bzw. 
ihre Organe zu solchen Beschränkungen zu ermächtigen, so würde dieses 
Recht durch Art. 9 Satz 1 nicht aufgehoben sein. Aus der Fassung des 
Satzes: „Das Eigentum ist unverletzlich“ ist also über die Frage, ob und 
inwieweit Normen, die in das Eigentum eingreifen, im Gesetzgebungs- 
wege erlassen werden müssen oder im Verordnungswege erlassen werden 
dürfen, gar nichts zu entnehmen. Der Satz sagt lediglich: in die 
Eigentumssphäre eines andern darf niemand eingreifen, der nicht ein 
Recht dazu hat. Ob ein derartiges Recht nur durch Gesetz oder gültigen 
Gewohnheitsrechtssatz oder auch praeter legem durch selbständige könig- 
liche Verordnung begründet werden kann, darauf gibt, wie abermals be- 
tont werden muß, Art. 9 Satz 1 keine Antwort. 
4. Man darf eine solche Antwort in ihm deshalb nicht suchen, weil, wie 
oben S. 98 im allgemeinen und bei Art. 5 S. 137 mit spezieller Bezug- 
nahme auf Art. 5 bemerkt, die grundrechtlichen Bestimmungen dieses 
Typus überhaupt nicht den Beruf haben, Gesetz und Verordnung gegen- 
einander abzugrenzen. Was an letzterer Stelle über Art. 5 gesagt wurde, 
gilt durchweg auch für den hier erörterten Satz. Keine der beiden 
Verfassungsvorschriften gehört zu denen, welche die „Gegenstände der
	        
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