164 Artikel 9. Der zweite Satz.
7. Der zweite Satz des Artikels. — Die Erklärung des Artikels
hat sich nunmehr dem zweiten Satze zuzuwenden.
Der nahe Zusammenhang zwischen diesem und dem bisher er-
örterten ersten Satze darf nicht zu der Annahme verleiten, daß die
sachliche Tragweite der beiden Sätze identisch, daß m. a. W. mit den
Entschädigung bedingenden „Entziehungen“ und „Beschränkungen“ im
Sinn des zweiten Satzes der Inbegriff aller Maßregeln gemeint sei,
welche nach Satz 1 dem Eigentum gegenüber zulässig sind. Diese An-
nahme wäre, wie bereits oben 155, 156 bemerkt, irrtümlich. Der erste Satz
hat einen weiteren Kreis von rechtsgültigen, wenngleich vermögensbe-
schädigenden Staatshoheitsakten im Auge als der zweite. Nicht jeder
Eingriff, welchen Satz 1 zuläßt, verpflichtet zur Entschädigung nach
Satz 2; denn ersterer bezieht sich, wie oben S. 157ff. gezeigt, auf alle
Einwirkungen der Verwaltung auf das Privateigentum, einschließlich der
Enteignung, — der andere aber handelt nur von der Enteignung,
Einer Auslegung, welche jede Eigentumsbeschränkung bzw. eent-
ziehung im weitesten Sinne, jede Vermögensbeeinträchtigung durch Hand-
habung der Staatsgewalt unter Art. 9 Satz 2 bringen wollte, würde
sich schon der Wortlaut der Bestimmung entgegengehalten lassen. Es
heißt: „Es (d. h. das Eigentum) kann nur gegen Entschädigung
nach Maßgabe des Gesetzes entzogen oder beschränkt werden.“ Aus
dem „nach Maßgabe des Gesetzes“ ergibt sich, daß hier nicht von solchen
Entziehungen oder Beschränkungen die Rede ist, welche der Gesetzgeber
selbst vornimmt, sondern von solchen, zu deren Vornahme er andere
Staatsorgane ermächtigt: damit ist, wie Rehm (Art. „Fiskus“ in Stengels
Wörterb. d. VR, (1. Aufl.] Erg.-Bd. 3 97) zutreffend bemerkt, neben dem
Gesetz „noch eine besondere, entziehende bzw. beschränkende Staatshand-
lung, also ein Verwaltungsakt“ vorausgesetzt. Somit scheiden zunächst
alle unmittelbar legislat iven Eingriffe (s. oben S. 161) aus der Ent-
schädigungspflicht des zweiten Satzes aus, es bleiben nur die administrativen.
Aber diese Restriktion ist noch nicht genügend: Satz 2 gilt auch nicht
für alle administrativen Akte und Tätigkeiten, welche das Eigentum —
faktisch, nicht rechtlich — „verletzen"“. Die Entstehungsgeschichte läßt
hierüber keinen Zweifel. Bei dem durch Satz 2 ausgesprochenen Ent-
schädigungsgrundsatz hat man nur an den besonderen Fall der Ent-
eignung gedacht.
Zunächst ist in dieser Hinsicht auf die Motivierung hinzuweisen,
welche die Komm der Nat Vers dem Satze (der, wie oben 153 erwähnt,
ursprünglich nicht der zweite, sondern der einzige des Artikels sein sollte)
gab. Sie umschreibt (s. oben a. a. O.) den Sinn des Satzes dahin: Ent-