174 Artikel 9. Entschädigung für nicht expropriative Eingriffe.
mit dem der Anspruch begründet werden kann. Ein solcher Rechts-
grundsatz, welcher für ganz Deutschland oder auch nur für das gesamte
preußische Staatsgebiet Geltung hätte, existiert nicht. Insbesondere ist
er nicht zu erblicken in dem Gesetz über die Zulässigkeit des Rechtsweges
in Beziehung auf polizeiliche Verfügungen vom 11. Mai 1842, §4, wonach
bei entschädigungspflichtigen Eingriffen der Polizeigewalt der ordentliche
Rechtsweg darüber stattsindet, „ob ein Eingriff dieser Art vorhanden sei,
und zu welchem Betrage dafür Entschädigung geleistet werden müsse“.
Diese Bestimmung regelt, wie ersichtlich, nur die Zuständigkeitsfrage.
Sie eröffnei den Rechtsweg über Ersatzansprüche aus Vermögens-
beschädigungen durch rechtmäßige Handhabung der Polizei (nicht der
öffentlichen Gewalt überhaupt); die materiellen Normen, nach denen der
Richter zu entscheiden hat, läßt sie unberührt (vgl. Oppenhoff a. a. O.
335, 336, Anschütz 81, 82).
Die bedeutsamste dieser Normen ist, nach dem Umfang ihres sach-
lichen und örtlichen Geltungsbereichs, der schon oben S. 170 erwähnte
§ 75 Einl. z. AL, dessen Wortlaut, zusammen mit dem voraufgehenden
§ 74, hier nochmals wiedergegeben sei:
§ 74. Einzelne Rechte und Vorteile der Mitglieder des Staats
müssen den Rechten und Pflichten zur Beförderung des gemein-
schaftlichen Wohls, wenn zwischen beiden ein wirklicher Wider-
spruch (Kollision) eintritt, nachstehen.
§ 75. Dagegen ist der Staat denjenigen, welcher seine be-
sondern Rechte und Vorteile dem Wohle des gemeinen Wesens
aufzuopfern genötigt wird, zu entschädigen gehalten.
Daß der §N 75 durch Art. 9 Satz 2 aufgehoben sei und seitdem
nicht mehr gelte (Rehm), ist, wie bereits dargelegt — val. Nr. 9 S. 168,
Nr. 10 S. 170 —, eine völlig unbegründete Behauptung: einmal äußert
Satz 2 überhaupt keine derogatorischen Wirkungen (S. 168), zweitens
regelt Satz 2 nicht „dieselbe Materie“ (Rehm, Art. „Fiskus“, a. a. O. 99)
wie § 75, sondern nur den Spezialfall der Enteignung, und drittens ist
g 75 vom Gesetzgeber — Ausf.-G. z. BG Art. 89, vgl. Nr. 10 S. 170 —
ausdrücklich aufrechterhalten. Die Vorschrift steht also noch, und stand
von jeher (was durch eine absolut konstante Gerichtspraxis bezeugt wird)
in Geltung, — aber freilich nur im Gebiete des ALR. Vgl. oben
S. 170, 171. Zur Auslegung des § 75: Kleeberg, § 75 Einl. z. A#n und
die Rechtsprechung des R (1909).
Bei Anwendung des §& 75 müssen stets die Einschränkungen be-
rücksichtigt werden, welche er durch anderweite Bestimmungen erfahren
hat: durch AL# 1 22, §5 1, 2 und die KO betr. die genauere Beobachtung