Full text: Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat. Erster Band: Einleitung. Die Titel. Vom Staatsgebiete und Von den Rechten der Preußen. (1)

Artikel 10. Bürgerlicher Tod und Vermögenseinziehung. 177 
über das rheinisch-französische Recht Fleischmann 21 423 ff.; Dreyer, Värch 
17 209ff., 20 197 ff.), eine gewohnheitsrechtliche Rezeption des alt- 
preußischen Rechts ist dort bisher nachweislich nicht erfolgt (vgl. oben 
S. 170). Nach allgemeinen Grundsätzen findet in diesen Rechtsgebieten 
bei Vermögensbeeinträchtigungen durch rechtmäßige Handhabung der 
Staatsgewalt Entschädigung nur statt, soweit das Gesetz sie ausdrücklich 
zubilligt. 
Artikel 10. 
Der bürgerliche Tod und die Strafe der Dermögensein- 
ziehung finden nicht statt. 
1. Entstehungsgeschichte. — Die Reg Vorl, 9 9, verbot nur „die 
Strafe der Vermögenskonfiskation“". Die Komm der Nat Vers fügte den 
bürgerlichen Tod hinzu und gab dem Artikel die Fassung „die Strafen 
des bürgerlichen Todes und der Vermögenskonfiskation finden nicht statt", 
— womit klar ausgedrückt war, daß man den „bürgerlichen Tod“ nur 
als Strafart (als welche ihn namentlich das im Rheinland geltende 
französische Strafrecht kannte und verwendete), nicht auch als Form zivil- 
rechtlicher Erwerbsunfähigkeit abschaffen wollte. An die Stelle dieser 
setzte die oktr V. die minder unzweideutige Fassung des geltenden Textes. 
Bei der Revision des Artikels haben Erörterungen nicht stattgefunden. 
2. Auslegung. — I. Warum die oktr V und die revidierenden 
Faktoren es vorzogen, das Wort „Strafe“, welches sich offenbar nicht 
bloß auf „Vermögenseinziehung", sondern auch auf den „bürgerlichen 
Tod“ beziehen soll, abweichend von dem KommEntw der Nat Vers nur 
mit ersterer in unmittelbare grammatische Verbindung zu setzen, ist nicht 
ersichtlich, jedoch nicht anzunehmen, daß man damit eine sachliche Anderung 
beabsichtigt habe und zwar schon deshalb nicht, weil der — der franzö- 
sischen Rechtssprache entlehnte — Ausdruck „bürgerlicher Tod“ (mort civile; 
vgl. den dem Art. 10 entsprechenden art. 13 der const. belge) nur für 
die damit bezeichnete Strafe (Näheres darüber bei Thonissen, const. 
belge annotée Nr. 65ff. und der dort angegebenen französischen Lite- 
ratur) technisch und gebräuchlich war. Der Artikel ist also so auszu- 
legen, als wäre der Wortlaut des Komm Entw der Nat Vers: „die 
Strafen des bürgerlichen Todes und der Vermögenseinziehung finden 
nicht statt"“ — unverändert geblieben. Er schaltet die Wegnahme des 
gesamten Vermögens („Vermögenseinziehung"“) und den Verlust der 
Vermögens-- und Erwerbsfähigkeit („bürgerlicher Tod“) aus dem Strafen- 
system aus, verbietet dem Gesetzgeber aber nicht, die Minderung oder 
Anschütz, Preuß. Verfasfungs--Urkunde. I. Band. 12
	        
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